Die Auswahl eines tierischen Gefährten gleicht bei manchen Menschen dem der neuesten Kleidermode. Es zeigt die oberflächliche Konsumpsychologie, die in der heutigen Gesellschaft vorherrscht und in der das Wesen „Tier“ das Nachsehen hat. Der Mensch entscheidet, welche Merkmale attraktiv, süß oder momentan beliebt sind. Die Zucht erfüllt sie, indem sie die gewünschten Eigenschaften verstärkt und unerwünschte beseitigt – je nach Nachfrage und Modetrend.
Schon lange „trendy“ sind Züchtungen, die das Kindchenschema bedienen: große Kulleraugen, kurze Schnauze und ein runder Kopf. Manche Köpfe von Tieren, wie bei englischen Bulldoggen und Möpsen, wurden derart verformt, dass sie nur noch schlecht atmen können, beim Fressen würgen und im Sommer kollabieren, da die verformten Schädel keine Körperwärme mehr regulieren. Aber sie sind süß und das ist hierbei das Wichtigste. Aus der Grundform eines Tieres werden unaufhörlich Varianten gebastelt, die in der Natur nicht vorkommen, geschweige denn überleben können: überlange Ohren bei Widderkaninchen, überlange Flossen bei Fischen, verlängertes, dichtes und weiches Fell bei Katzen oder komplett haarlose Hunde, Katzen und Meerschweinchen. Die optischen Merkmale sind die, die zählen und dabei werden bei Bedarf biologische Grenzen überschritten. Manchmal ist das gewünschte Merkmal wie Fellfarbe für das Tier zwar nicht belastend, dafür aber die Begleiterscheinungen oder die damit verbundenen Erbkrankheiten: Veränderungen des Verdauungstraktes, reduzierte Lebhaftigkeit, Kurzlebigkeit oder Taubheit. In manchen Extrem- und Defektzüchtungen, von manchem Züchter als „genetische Unfälle“ betitelt, wurden Körperteile für den arttypischen Gebrauch abgewandelt. Sie können ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr richtig ausüben und rufen Schmerzen oder Leiden hervor. Manche Körperteile sind komplett weggezüchtet. Tiere, die kein Fell mehr haben, neigen zu Sonnenbrand oder Allergien. Dazu kommt oft das Fehlen ihrer Tasthaare, die ihnen helfen, sich der Umgebung zurechtzufinden. Tiere ohne oder mit zu kurzen Schwänzen haben Koordinationsschwierigkeiten, Gleichgewichtsstörungen oder Probleme mit der Temperaturausgleichung ihres Körpers. Zudem fehlt ihnen mit ihrem Schwanz ein wichtiges Kommunikationsmittel, um sich mit anderen Artgenossen zu verständigen. Und manche Opfer dieser Qualzuchten können nicht einmal Kot und Urin halten.
Zu den massiven Gesundheitsproblemen dieser Tiere kommen enorme Kosten hinzu: Tierarztbesuche, Medikamente, Spezialfutter und Psychopharmaka für die dazu auftretenden Verhaltensstörungen. Die Pharmaindustrie und der Haustierhandel reiben sich die Hände. Die Kunden sehen sich plötzlich aufgrund der hohen Kosten und dem Pflegeaufwand überfordert und die verkrüppelten und verhaltensgestörten Tiere landen im Tierheim als Fehlkäufe. Mit einem Schlag sind diese „wertlos“.
Neben „Haustieren“ werden auch sogenannte „Nutztiere“ den Wünschen des Menschen angepasst: Diese sollen „leistungssichere Schlachtkörper“ für sie sein. Auch hier geht der Mensch über ihre biologischen Grenzen hinaus. Je mehr Fleisch in kürzester Zeit an den Körpern der Tiere hängt, desto rentabler ist das für ihn. Doch die noch jungen Knochen dieser Tiere können diese Fleischmengen nicht tragen. Ihre Gelenke entzünden sich schmerzhaft unter der Last ihres eigenen Körpergewichts. Schweine, Hühner und Puten aus den Qualzuchtrassen „Piétrain“, „Cobb 500“ und „BUT big 6″ sind als regelrechte Fleischmaschinen besonders beliebt. Die heutigen „Turbo“- Milchkühe werden auf eine derartige hohe Milchleistung gezüchtet, dass es bei ihnen zu Fruchtbarkeitsstörungen, Euter-, Klauenerkrankung und Stoffwechselstörungen kommt. Hühner mit einer hohen Legeleistung erkranken an ihren Legeorganen. Manche von ihnen sterben so bereits während ihrer „Nutzungszeit“. Für eine noch bessere Ausbeutung und optimale Verwertung werden zudem Veränderungen an der Körpergestalt und -größe sowie an Fell und Gefieder dieser Tiere vorgenommen. So erspart das von Forschern entwickelte Nackthuhn das Rupfen nach der Schlachtung.
Auch an Charaktereigenschaften von „Nutztieren“ wird herumgebastelt: Weniger angriffslustig und unruhig sollen sie sein. Natürliche Verhaltensweisen wie die Fluchtbereitschaft werden ebenfalls reduziert. Das Wunschziel einer Züchtung: ein ausgeglichener Charakter, gutmütig und wohlwollend, sodass keine Komplikationen in ihrer Gruppenhaltung und im „Arbeitsablauf“ des Menschen entstehen. Sie sollen sich widerstandslos ausbeuten und letztendlich töten lassen.
Schlecht für einen Arbeitsablauf und Gruppenhaltung sind auch die Hörner der Kühe. Zur Vorbeugung von Verletzungen in Boxenlaufstellen, wo Kühe aufgrund von Platzmangel eng beieinanderstehen, werden viele so gezüchtet, dass ihnen keine Hörner wachsen. Den restlichen Tieren brennt mensch im Alter von wenigen Wochen die Hörner mit einem bis zu 700 Grad heißem Brenneisen ohne Betäubung aus (ähnlich den 2016 noch erlaubten Schnabelkürzungen bei Hühnern). Andere Hörnertiere wie Ziegen erleiden die gleiche Tortur.
Ferkeln werden die Schwänze mit Heißgeräten abgeschnitten, um sie physisch den extrem belastenden Haltungsbedingungen anzupassen. Neurotisch werden sie trotzdem, nur beißen sie sich eben nicht mehr die Schwänze ab. Damit deren Fleisch für den Konsumenten schmackhaft bleibt, ohne unangenehmen Ebergeruch, werden sie kastriert. Diese erfolgt, wie das Schwanzkupieren ohne Betäubung.
Auch die extrem stressige und schmerzhafte Enthornung der Kühe bringt weitere Vorteile: Der Landwirt spart Platz und die Tiere können weiter dicht gedrängt zusammenstehen. Die Verletzungsgefahr des Landwirtes und seinen Mitarbeitern ist ebenfalls reduziert und eine problemlose maschinelle Melkung ist ermöglicht. Keine Rolle spielt dabei, dass den Rindern damit ein natürliches Kommunikationsmittel genommen wurde. Denn das Horn hat eine immense Bedeutung hinsichtlich der Konfliktregelung und dem Rangkampf innerhalb der Herde. Ohne Horn verändert sich das Verhalten: Die Tiere werden ängstlicher und steigen in der Rangordnung ab.
„Die Welt ist kein Machwerk und die Tiere sind kein Fabrikat zu unserem Gebrauch. Nicht Erbarmen, sondern Gerechtigkeit ist man den Tieren schuldig.“
(Arthur Schopenhauer, 1788-1860, deutscher Philosoph)
Zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse fügen Menschen Tieren Leid zu. „Was nicht passt, wird eben passend gemacht“, scheint dabei die Devise zu sein. Die einen müssen nach dem Willen des Menschen so viel Leistung erzielen, bis ihr ausgelaugter Körper daran zerbricht. Sie werden gezüchtet und verstümmelt um sie unkomplizierter und profitreicher für gewünschte Produkte auszubeuten. Die anderen werden in ihrer Anatomie so umgestaltet, dass sie zwar krank und schwer lebensfähig sind, aber dafür ganz nach dem Geschmack des Menschen aussehen. Alle zusammen müssen vor allem eines sein: lieb und somit anpassungsfähig im Dienste des Menschen. Eines dürfen sie nicht sein: Sie selbst.
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