Warum die einen und die anderen nicht?

Fotolia_57238133_XSKürzlich fiel mir beim Einkauf ein Mann auf. Dieser stand mit einem weißen Hund mittlerer Größe auf der Straße. Es war nicht zu übersehen, wie ihm sein tierischer Gefährte am Herzen lag. Er beugte sich ständig zu ihm hinunter und redete mit ihm. Während er mit der einen Hand seinen Hund streichelte, hielt er in der anderen ein Fleischkäsebrötchen, in das er zufrieden reinbiss. In diesem Moment dachte ich, es ist schon paradox. Seinen Hund überschüttet er mit Liebe und andere Tiere, in diesem Fall Schwein und Rind, verspeist er seelenruhig. Tiere, die wie sein Hund, einen Lebenswillen und Empfindungen haben. Tiere, die genauso intelligent, teilweise sogar intelligenter als sein Hund sind. Tiere, die genauso viel Spaß am Spiel haben. Warum überschütten manche Menschen die einen mit Liebe und die anderen schicken sie in den Tod?

In einigen Teilen Asiens (und der Schweiz) stehen neben anderen Tieren auch Hunde und Katzen auf dem Speiseplan. Über 18 Millionen Hunde und etwa vier Millionen Katzen werden dort pro Jahr verspeist. Manche landen sogar noch lebendig im Kochtopf. Hunde- und Katzenfleisch ist beliebt und Tradition. Hundefleisch soll sogar ähnlich wie Rindfleisch schmecken. Besonders beliebt sei der Welpenschinken. Vielleicht, weil er besonders zart ist, so wie manche es von Kalb -, oder besser „Jungbullen“ – Fleisch behaupten?
Besonders übel wird es, wenn diese Tiere sowohl als „Haustiere“ als auch als „Nutztiere“ fungieren.
Laut dem Anthrozoologen Hal Herzog gibt es Märkte, wo Fleischhunde und Haushunde verkauft werden. Dabei sind diese armen Kreaturen räumlich getrennt und in verschieden farbigen Käfigen untergebracht. Damit Mensch nicht versehentlich ein Fleischhund als Haushund mit nach Hause nimmt oder umgekehrt, einen Haushund als Fleischhund verwendet. Ziemlich ambivalent. Aber was macht Menschen so blind für ihr eigenes widersprüchliches Verhalten?

In Asien und Südamerika steht Schildkrötenfleisch auf dem Speiseplan. Viele Schildkröten leben noch, wenn ihnen die Gliedmaßen abgeschnitten werden, ihre Köpfe zucken dabei minutenlang. In den Andenregionen in Peru, Bolivien, Ecuador und Kolumbien werden Meerschweinchen gemästet und gegessen. Auf den Färöerinseln werden Grindwale und im japanischen Taiji Delfine massakriert. Nur um ein paar von vielen Gräueltaten des Menschen an Tieren zu nennen.
Im Rest der Welt rufen diese Taten Empörung, Fassungslosigkeit und blankes Entsetzen hervor.
Aber ich frage mich, was ist mit den Schweinen, die lebendig im Brühtank landen? Was ist mit den männlichen Küken, die lebendig zerschreddert werden? Und was ist mit den Kühen und anderen „Nutztieren“, denen teilweise lebendig die Gliedmaßen abgetrennt werden? Ist dies weniger schlimm?

Lieben, essen oder hassen

Warum die einen und die anderen nicht? Laut Hal Herzog zeigt uns unsere jeweilige Kultur, welche Tiere wir lieben, essen oder hassen sollen. Eine Kultur, in der wir hineingeboren werden und die uns blind macht, gegenüber dem Leid bestimmter Wesen. Die Psychologin und Soziologin Melanie Joy spricht dabei von Karnismus, einem Glaubenssystem mit einem besonderen Aspekt: Die Auswahl der „essbaren“ Tiere ist kulturspezifisch.
Jede Kultur wählt ein paar unglückselige Tierarten aus, die sie willkürlich als verzehrbar erklärt. Die einen dürfen Mitgeschöpfe oder Haustiere sein, die anderen erhalten ein nummeriertes Schild im Ohr und werden zum Schlachten abtransportiert.

„So, wie wir gegen das Schlachten von Hunden sind, sollten wir gegen das Schlachten aller Tiere sein, die zu unserem Verzehr landwirtschaftlich produziert werden.
Die Aufzucht, der Transport und das Schlachten von Tieren für Nahrungszwecke bedeutet, unabhängig von der Spezies, immensen Schmerz und Leid für diese Tiere.“ (1)

All den Tieren, die mit dem Stempel „essbar“ gebrandmarkt wurden, widerfahren Misshandlungen und große Qualen. Bis zu ihrem Tod wird diesen „Nutztieren“ ununterbrochen Gewalt angetan. Nur geschieht das in westlichen Ländern hinter verschlossenen Türen:

„Dieses System diktiert uns, welches Tiere essbar sind, und ermöglicht uns ihren Verzehr, indem es dabei jedes emotionale oder psychische Unbehagen von uns fernhält. Das System bringt uns bei, nicht zu fühlen.Als offensichtlichste Empfindung verlieren wir unseren Ekel, doch hinter diesem Ekel verbirgt sich ein Empfinden, das für unser Selbstgefühl sehr viel wesentlicher ist: unsere Empathie.“(2)

Indem wir das, was uns beigebracht wurde als gegeben und normal betrachten, unterstützen wir eine gewalttätige Ideologie – den Karnismus. Und das, obwohl sich die meisten von uns als tierlieb bezeichnen würden. Die Mehrheit der Menschen ist gegen Tierquälerei und würde einem Tier niemals absichtlich schaden. Der Mann mit seinem Hund bestimmt auch nicht. Einst sagte Dr. Paul Farmer, dass die Idee allein, manche Leben seien weniger wert als andere, die Wurzel allen Übels auf dieser Welt ist. Und er hatte recht.

Quellen:

(1) https://www.animalsasia.org/de/media/news/news-archive/if-you-campaign-against-the-dog-meat-trade-%E2%80%93-should-you-also-campaign-against-chicken,-pork-and-beef-industries.html
(2) Melanie Joy, Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen, Karnismus- Eine Einführung, compassion media, Münster, 2013

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Veganismus als Störenfried

Veganismus ist im Vormarsch. Gerade dies scheint manchem Veganismus-Kritiker ein Dorn im Auge zu sein. Verfolgt man deren Aussagen in den Medien, bleibt einem als Veganer die Spucke weg, gefolgt von ungläubigem Kopfschütteln. Konsequentes Verhalten zugunsten von malträtierten Lebewesen scheint geradezu fundamentalistisch, hypermoralisch und umweltschädigend zu sein. Statt ihr eigenes Verhalten zu hinterfragen, investieren die Kritiker ihre Zeit auf der Suche nach dem Haar in der veganen Suppe.

Industriell verarbeitete vegane Lebensmittel sind nicht gesünder:

Laut den Veganismus-Kritikern, erfordern fleischlose Produkte eine erhebliche Anwendung von Lebensmitteltechnologie, ganz zu schweigen von den Mengen an Zusatzstoffen, Fett und Salz. Dagegen seien die Grundzutaten bei Fleisch- und Wurstprodukten im Lebensmittelkodex klar geregelt. Zudem verzichten die Hersteller auch oft auf Hefeextrakt und Geschmacksverstärker.

Seltsamerweise erwähnen die Kritiker nicht die giftigen und krebserregenden Pestizide, Herbizide, Fungizide und Antibiotika-resistente Keime, die in Fleisch mittransportiert werden. Dazu kommen Fäkalien der getöteten Tiere, Haare, Schmutz und verklebtes Gewebe, die bei miserablen Hygienebedingungen auf dem Fließband mitverarbeitet werden. Nicht zu vergessen: das ständige Wiederauftreten von kontaminiertem Fleisch mit Bakterien- und Virenstämmen wie BSE, Vogelgrippe, Salmonellen und die gerade aktuellen Campylobacter-Keime. (1)

Vegane Ernährung bedeutet zwangsläufig Mangelerscheinungen:

Insbesondere der Mangel an Vitamin B 12 erwähnen Veganismus-Kritiker. Dieses Vitamin wird von Mikroorganismen, beispielsweise von Bakterien im Verdauungstrakt von Mensch und Tier oder von Algen hergestellt. Als Tiere noch natürliche Nahrung von naturbelassenen Böden aufnehmen durften, entstand genügend B 12 in deren Fleisch. Heutzutage, wo Tiere vorwiegend industriell bearbeitete Nahrung erhalten um die Fleischproduktion zu erhöhen, ist deren Gehalt an Vitamin B12 ebenfalls niedrig. Selbst deren Essen ist heute zusätzlich mit Vitamin B 12 angereichert. Der bei Veganern oft diagnostizierte Eisenmangel kommt auch bei Fleischkonsumenten vor. So benötigen Frauen, egal ob sie tierische Produkte konsumieren oder nicht, im Menstruationsalter mehr Eisen als Männer. Leidet ein Konsument tierischer Produkte an Eisenmangel, wird auch er mit Eisenpräparaten behandelt – nicht mit mehr Fleisch.
Mangelerscheinungen dienen stets als Argument gegen die vegane Ernährungsform. Die negativen Nebenwirkungen, die mit dem Fleisch-Verzehr in Verbindung gebracht werden, finden hingegen kaum eine Erwähnung: Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und verschiedenen Krebserkrankungen, vorwiegend Dickdarm-, Prostata- und Brustkrebs. (2)

Vegane Produkte müssen unter ökologischen Aspekten kritisch bewertet werden:

Denn in veganen Produkten wimmelt es von Palmfett, Kokosöl oder Sojaeiweiß. Diese Zutaten stammen oftmals aus Monokulturen in anderen Ländern und werden über weite Transportwege importiert, was beides dem Klima schadet. Für Palmölplantagen werden Regenwaldflächen abgeholzt und der Lebensraum unzähliger Tierarten zerstört.

Dabei ist die Herstellung tierischer Produkte einer der Hauptverursacher für die heutigen Umweltprobleme:
Um das Wachstum der „Nutztiere“ zu beschleunigen, müssen diese proteinreiche Nahrung zu sich nehmen. Das Protein hierzu stammt aus Soja und überwiegend aus Regenwaldregionen – über 90 % des Sojas verwendet die Tierindustrie für „Nutztiere“. (3)
70 % der Regenwaldgebiete dienen heute als Weideflächen für „Nutztiere“. Folglich verringert sich der Lebensraum der einheimischen Tierarten. Hinzu kommt der immense Beitrag zur Klimaerwärmung: Die Freisetzung von CO 2 durch Rodung und Methan- sowie Lachgasemissionen durch Rinder (die für Rindfleisch und Milchprodukte herhalten müssen), deren Gülle und Dünger. Da Rinder Futter schlecht verwerten, ist ein Anbau größere Mengen an Futtermittel notwendig und die Freisetzung von CO 2 dementsprechend hoch. (4)
Vergessen wird auch gerne, dass die Tierindustrie der größte Wasserverschmutzer ist. In die Gewässer fließen Tierexkremente, Dünger, Pestizide, Chemikalien und Antibiotika.

Gleichzeitig wirft man Veganern postmodernen Wohlstandsökologismus vor:

Einerseits wird der Zeigefinger erhoben, denn die vegane Ernährung verursache ökologische Probleme – allein die Butter aus Palmfett und die zahlreichen Sojaprodukte.
Zählt ein Veganer dann den ökologischen Preis für eine Ernährung mit Fleisch auf, gilt dieser als postmoderner Wohlstandsökologist. Unwichtig ist dann auch, dass Ressourcen anderer Länder, deren menschliche Bevölkerung selbst teilweise unterernährt ist, aufgebraucht werden – zugunsten der Produktion tierischer Lebensmittel. Und somit erreichen wir die nächste Stufe der Veganismus-Kritiker:

Veganer sind Ernährungsfundamentalisten, sowie moralische Totalitaristen.

Denn bei ihrer radikalen Ernährungsform, dem Veganismus, spielen die Gesundheit oder moralische und ethische Themen eine große Rolle. Ein bewusstes, freudvolles Genießen würde angeblich nicht mehr stattfinden.

Doch wer genießt bewusster und somit freudvoll? Die, die sich dieser wesensverachtenden Tierindustrie und ihrem Kollateralschaden bewusst geworden sind und sich konsequent für eine vegane Ernährung entschieden haben? Einer Ernährung mit sogar gesundheitlich positiven Nebeneffekten? Oder die, die all dies zugunsten ihres Konsums tierischer Produkte verdrängen?
Denn nichts anderes als Verdrängung ist es, wenn sich der Argumentationskreislauf der Veganismus-Kritiker trotz aller augenscheinlichen Gegenargumente in ihrer Überzeugung schließt: Fleischessen ist „normal, natürlich und notwendig“ (4)

Die amerikanische Sozialpsychologin Melanie Joy nennt dies die „Drei Ns zur Rechtfertigung“. (5) Zur Rechtfertigung einer Ernährungsform, die auf einem System der Verdrängung basiert. M.Joy bezeichnet dieses als Karnismus. Eine Ideologie in die Menschen hineingeboren werden und die ihnen als Norm erscheint. Insofern ist es in dieser Ideologie „normal“, bestimmte Tiere zu essen. Der Grund dafür: Es war schließlich schon immer so. Punkt. Doch die „Gewohnheit versöhnt die Menschen mit jeder Gräueltat“.(6) Was an Tieren alles monströse angerichtet wird, bevor sie als „Gaumenfreuden“ enden, wollen viele besser nicht wissen. Augenblicklich werden Verstand und Gefühle ausgeschaltet.
Die Ideologie des Karnismus darf nicht zu wackeln beginnen. Also bleibt millionenfaches, tägliches Leid von atmenden, empfindungsfähigen und sozialen Lebewesen im Verborgenen. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – folglich keine Mitverantwortung.

Quellen:

(1) http://snip.ly/ISwb#http://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/hygienemaengel-bei-fleisch-zahl-der-darmerkrankungen-steigt-a-1046216.html
(2) https://vebu.de/themen/gesundheit/studien
(3) http://www.iass-potsdam.de/sites/default/files/files/bodenatlas2015_deutsch.pdf
(4) Melanie Joy, Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen. Karnismus – eine Einführung, compassion media, Münster 2013
(5) Melanie Joy, Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen. Karnismus – eine Einführung
(6) George Bernard Shaw (1856-1950), irischer Dramatiker, Satiriker, Politiker, Musikkritiker und Pazifist