Der Mythos Wolf
In Mythologien, Märchen und Sagen, in der Kunst und Literatur spielte er eine große, aber ambivalente Rolle. Stark und überlegen, gleichzeitig aggressiv, gefährlich, fast übernatürlich unheimlich. Wie viel vom Mythos Wolf ist heute übrig geblieben?
Als Beschützer verehrt, als überlegener Jäger bewundert
In vielen Kulturen galt der Wolf als Beschützer. Im alten Ägypten war er der Wächter der Gräberstadt und des Totenreichs. Als Wolfsgott Upuaut beschützte er das Land und die eigenen Soldaten vor feindlichen Heeren. In der griechischen Mythologie wurden Romulus und Remus, die Gründer Roms, von einer Wölfin geborgen. Sie fand die ausgesetzten Säuglinge, säugte sie und rettete ihnen so das Leben.
Die Aborigines verbinden den Wolf mit ihren Ahnen, der Stern Sirius ist für sie der Stern des Wolfes, die „Heimat der Vorfahren“. Auch die amerikanischen Ureinwohner verehrten den Wolf als Gründungsvater ihres gesamten Volkes. Sie betrachteten ihn, genauso wie die Inuits, als einen Bruder. Viele Indianerstämme verehren ihn als Totem mit übernatürlichen Kräften.
Viele Kulturen, insbesondere die Völker, die von der Jagd lebten, betrachteten den Wolf als gleichwertigen Erdbewohner. Konnten sie doch von diesem überlegenen Nahrungskonkurrenten einiges über die Jagd lernen. Seinem Geschick und seiner Ausdauer galt ihre Bewunderung – solange genügend Beutetiere für alle vorhanden waren.
Wer hat Angst vorm bösen Wolf?
Leider projizierten Menschen vor Jahrhunderten auch ihre verschiedenen Ängste auf den Wolf.
In Fabeln und Märchen erscheint er als gefräßiges Tier, ein übernatürliches Ungeheuer und Menschenfresser. Denken wir nur an den unersättlichen Wolf, der die sieben Geißlein und Rotkäppchens Großmutter verschlang.
Als Verbündeter des Teufels rückte der Vorfahre der Hunde sogar in den Bereich des Dämonischen. Er fiel bei der Kirche in Ungnade, was passend zu dem damaligen Hexenglauben war. Auch die Geburt des Werwolfs, einem Menschen, der sich in einen Wolf verwandelt, trug zu seinem negativen Image bei. Selbst heute glauben noch einige Menschen an Werwölfe, besonders in ländlichen abgelegenen, Gebieten Süd-und Osteuropas.
Das Bild des bösen, menschenfressenden Isegrims hat viele Generationen von Menschen geprägt. Auch heute scheint mit der Rückkehr der Wölfe diese Angst noch fest in manchen Köpfen verankert zu sein. Dabei ist bisher kein Wolfsangriff auf einen Menschen bekannt.
Indessen konnte ein junger Förster eine Wolfsfamilie in der Heide vor Hamburg furchtlos filmen. Diese schaute ihn zwar neugierig an, hielt aber 80 Meter Abstand. Nach zwanzig Minuten gegenseitiger Beobachtung zog die Familie weiter. Laut dem Revierförster seien die Menschen in dieser Region seit sieben Jahren mit den Wölfen vertraut. Nie ist etwas passiert. (1) Denn Wölfe sind sehr intelligent, aber scheu. Auch sie haben durch ihre jahrzehntelange Bejagung eine berechtigte Angst entwickelt, die vor dem Menschen. Zurecht haben sie diese an die folgenden Generationen weitervererbt.
„Ein gesunder Wolf in freier Wildbahn riecht, hört und sieht einen Menschen lange, bevor wir den Wolf überhaupt wahrnehmen. Der Wolf wird dem Menschen ausweichen und sich zurückziehen.“(2)
Der Erzfeind des Menschen
Zu Aberglaube und Ignoranz gesellte sich mit dem Beginn der Land- und Nutztierwirtschaft noch die Sorge der Landwirte um ihre Tiere. Schließlich dienten sie ihnen als Produktlieferant. Mit dieser Ausbreitung des Menschen verlor der Wolf immer mehr seines natürlichen Lebensraumes. Auch seine natürlichen Beutetiere verringerten sich, dazu leistete die Jagd des Menschen auf dieselbigen einen nicht unwesentlichen Beitrag. Gleichzeitig wurde der Wolf zum Gejagten. Sein Existenzrecht wurde ihm vom Menschen abgesprochen.
Heute hallt mit der Rückkehr der Wölfe ein neuer Aufschrei durch Landwirte, Hobbyzüchter und Jäger. Wieder taucht der Wunsch auf, sie zu vertreiben und zu bejagen. Dabei stehen nur 0,6 Prozent der Weidetiere auf dem Speiseplan der Wölfe, laut Jens Matzen vom Wolfsinformationszentrum Eekholt. (3)
Trotzdem stehen die Landwirte und Hobbyzüchter dem Wolf, im Gegensatz zu manch ihrer Aussagen, nicht hilflos gegenüber. Es gibt genügend Alternativen, das Leben ihrer Nutztiere zu schützen. Wobei „schützen“ hierbei zynisch erscheint. Auch diese Tiere werden früher oder später getötet – durch die Hand des Menschen!
Die Nutztierzüchter haben die Möglichkeit Schutzzäune zu bauen oder Herdenschutzhunde hinzuzuziehen. Für 150 Schafe beispielsweise sind zwei Schutzhunde nötig.
Eine dritte Variante zum Schutz der Weidetiere, die schon im 18. und 19. Jahrhundert bekannt war, sind Esel. Sie reagieren aggressiv auf Wölfe. Man vermutet, dass sie noch den Instinkt eines Wildesels innehaben, der sich gegen solche Angreifer wehren musste. (4)Mit ihren bis zu 120 Dezibel lauten Schreien, wehren sie Eindringlinge ab. (5) Da Wölfe empfindlich auf laute Geräusche reagieren, meiden sie lieber die Weide mit der geräuschvollen Kulisse. Lassen sie sich nicht abschrecken, scheuen die Esel sich nicht, sie mit Beißen und Austreten abzuwehren.
Tatsache ist, Wölfe ernähren sich hauptsächlich durch Wildtiere.
Laut Feldforschungen wie im Yellowstone-Nationalpark, hat der Wolf eine Schlüsselfunktion im Ökosystem inne. Da Wildtiere durch ständiges Grasen von Gebieten die Vegetation zerstören können, wenden sie mit der Rückkehr des Wolfes wieder Feindvermeidungsstrategien an. Sie ändern häufiger ihre Aufenthaltsorte und nutzen unterschiedliche Wanderwege. Somit sorgt der Wolf durch seine Anwesenheit dafür, dass die Grasflächen sich erholen und erhalten bleiben.
Jäger können ihm diese Schlüsselfunktion also getrost überlassen.
„Wir müssen wieder zu Hütern der wilden Tiere werden, etwas über ihre Welt lernen und die Wunden heilen, die wir der Natur zugefügt haben. Alles hat seinen Platz in der Welt, wir können nicht so naiv sein zu glauben, dass wir uns selbst schützen können, wenn wir andere Arten untergehen lassen. Kein einziges Tier tötet zum Spaß.“ (6)
Der Mensch hat dem Wolf kontinuierlich kleine Stücke seiner Welt weggenommen, indem er sich konsequent ausbreitete. Er hat dafür gesorgt, dass auch das natürliche Nahrungsangebot der Wölfe zunehmend verschwand. Das ist der Grund, warum sich Wölfe vermehrt in der Nähe des Menschen aufhalten mussten. Heute suchen sie wieder ihren Platz auf Erden.
„Indianische Legenden erzählen von einem heiligen Bündnis zwischen Wölfen und Menschen, in dem jeder versprach, des anderen Familie und Land zu respektieren. Die Wölfe haben ihre Vereinbarung bis heute im Wesentlichen eingehalten, während der Mensch die Tiere vielerorts systematisch vernichtet hat.“ (7)
Quellen:
(1) www.focus.de/nur-50-kilometer-von-grossstadt-entfernt-riesen-rudel-kurz-vor-hamburg-foerster-filmt-wolfsfamilie-in-der-heide
(2) chwolf.org/woelfe-kennenlernen/mensch-wolf-beziehung/mythen
(3) www.berliner-kurier.de/zum-schutz-der-nutztiere-bauernbund-chef-will-die-woelfe-abknallen-lassen
(4) www.herdenschutzzentrum.ch/schutzesel
(5) www.nordkurier.de/esel-bieten-wolf-lautstark-paroli
(6) Shaun Ellis, Der mit den Wölfen lebt, Arkana, München 2010
(7) Shaun Ellis, Der Wolf. Mythos und Wahrheit
chwolf.org/woelfe-kennenlernen/mensch-wolf-beziehung/gefaehrdung-durch-den-wolf
www.canislupus.de/menschuwolf
Fotos:
1- Erni – Fotolia.com
2- PL.TH – Fotolia.com