Sie sind ordentlich, neugierig, hochsensibel und genauso freundlich und loyal wie Hunde. Beleidigungen wie „dummes Schwein“ sind zweifellos fehl am Platze. Die gelehrigen Tiere können bis zu einundzwanzig Jahre alt werden – vorausgesetzt man lässt sie.
Schweine haben ein gutes Langzeitgedächtnis. So sind sie fähig sich in ihrer natürlichen Umgebung die Plätze einzuprägen,an denen ihre Nahrung verstreut ist.
Wunderbar merken können sie sich auch ihre eigenen, von Menschen gegebenen Namen. Selbst an erlernte Bezeichnungen von Gegenständen erinnern sie sich. Nur bei zu wenig Aufmerksamkeit, können sie sich schnell langweilen. Im Übrigen kann ein ausgewachsenes Schwein, das in einer liebevollen und vertrauensvollen Umgebung aufwächst, genauso zutraulich werden wie ein Hund.
Entgegen der weitverbreiteten Meinung sind Schweine sehr saubere Tiere. Sie achten sorgfältig darauf, ihre Geschäfte nicht dort zu verrichten, wo sie schlafen oder essen. Der Verhaltensforscher J. Masson berichtet von alten, arthritischen Säuen, die sich trotz ihrer Schmerzen und steifen Gliedmaßen im Stall aufrichteten. Unter größtem Kraftaufwand schleppten sie sich durch den Schlamm zu der Stelle, die sie sich als ihre Toilette auserkoren hatten. (1)
Ihr hoch entwickelter Geruchssinn hilft ihnen, sich zu orientieren und zu erkennen. Schon ein Ferkel identifiziert so seine Mutter und seine eigene private Zitze. Schweine können auch das Aussehen beispielsweise von Menschen erkennen und unterscheiden, selbst aus größter Entfernung.
Dass Christopher seine Besucher unterscheiden konnte, ließ sich daran erkennen, dass er sie unterschiedlich begrüßte. (2)
Im wachen Zustand sind Schweine sehr aktiv. Da sie sich ihre Nahrung gerne selbst suchen, benötigen sie viel Kraft und Ausdauer, wühlen und bewegen sich viel. Mit ihrer langen Schnauze spüren sie Nährstoffe tief im Boden auf. Selbst wenn sie satt sind, suchen sie weiter nach Essbarem. Als Allesfresser ist ihre Ernährung vielfältig und jedes hat seine eigenen Vorlieben.
[….] hätten sie aber die Wahl, würden sie ähnliche Speisen wählen wie der Mensch. So nehmen Schweine, bei der Wahl zwischen Mango und Brokkoli, immer die Mango. Sie haben eine Schwäche für Leckereien, eine süße Frucht ist demnach besser als gesundes Gemüse. (3)
Im Gegensatz zu den industriellen Mastanlagen, wo Schweine alles hinunterschlingen müssen, essen sie gerne langsam und genüsslich, eben nicht „wie Schweine“.
Schweine brauchen viel Schlaf. Einige verbringen dreizehn bis sechzehn Stunden am Tag im Schlafmodus, eine längere Schlafzeit und eine „Siesta“ mit inbegriffen. Häufig liegen sie beieinander, wie eng hängt von der Umgebungstemperatur und dem Körpergewicht ab. Die meisten haben zum Schlafen festgelegte Ruheplätze in dichter Vegetation: selbst gebaute Schlafnester aus Grünzeug oder Erdhöhlen. Andere sind anspruchsloser und schlafen direkt auf dem Boden. Dann gibt es noch die Spezialisten, die sich die Baue anderer Tiere „ausborgen“. Und auch Schweine träumen im Schlaf und zucken manchmal dabei.
Schweine schwitzen nicht. Sie haben nur an ihren Nasen Schweißdrüsen. Also baden sie gerne im Schlamm oder Wasser um sich abzukühlen, nicht weil sie gerne schmutzig sind und übel riechen. Das Schwein braucht das! Der Schlamm befreit es von Parasiten, wehrt Insekten ab und reinigt seine Haut. Nach der Reinigungsprozedur wird der Schmutz meist an Büschen und Bäumen abgerieben.
Hausschweine benötigen das Schlammbad noch aus einem anderen Grund: Es ist ihr Sonnenschutzmittel, denn sie können, wie Menschen auch, einen Sonnenbrand bekommen.
Schweine sind äußerst emotional. Sie können sehr liebevoll und sensibel sein. Wenn sie glücklich sind, wedeln sie wie ein Hund mit dem Schwanz. Aber auch sie können beleidigt sein, unter Ängsten leiden oder einen Wutanfall bekommen. Ein Schwein ist, wie jedes andere Lebewesen auch, ein Individuum. Unabhängig und robust oder sensibler und angreifbarer:
Das Schwein Floyd beispielsweise war Letzteres. Er lebte mit seinen Geschwistern auf einem Lebenshof. Mit neun Monaten musste er jedoch aus verschiedenen Gründen auf einen anderen Lebenshof umziehen. Als er dort angekommen war, ging er geradewegs in den Stall und kam nicht mehr heraus. Er verweigerte das Futter, wollte nicht mit anderen Schweinen spielen und wimmerte nur. Er schien sich aufzugeben. Als Floyds ehemalige Pflegerin zu Besuch kam, war ihm die pure Erleichterung anzusehen. Er beschnupperte sie, wurde lebendig und gab ein Freudenquieken von sich. Er rannte zum Lastwagen, sprang auf die Ladefläche und war bereit nach Hause zu fahren. In seinem alten Zuhause angekommen, war seine Depression verflogen. (4)
Schweine und ihr Sozialleben
Sie führen ein komplexes soziales Leben. Sie geben ihr Wissen weiter und lernen voneinander. Der Schweine-Forscher Johannes Baumgartner beobachtete, wie erfahrene Sauen ihre Töchter bei deren Erstgeburten unterrichteten und ihnen, gleich Hebammen, halfen.
Gleichzeitig entwickeln Schweine ein ausgeklügeltes Wettbewerbsverhalten, um „Konkurrenten“ reinzulegen: Sie lernen beispielsweise anderen zum Futter zu folgen, um es ihnen dann wegzuschnappen. Die Reingelegten lernen ihr Verhalten zu ändern, damit sie nicht wieder leer ausgehen.
Ihre Freundschaften mit Artgenossen zeigen sie durch unterschiedliche Laute und ihre Körpersprache. Sie suchen sich einen bestimmten Kumpan aus, mit dem sie den lieben langen Tag verbringen. Zusammen gehen sie auf Erkundungstouren und schlafen Schnauze an Schnauze.
Schweine fühlen sich emotional einander verbunden. Ihre Loyalität zeigt sich am Beispiel Hopes: Hope war mit einem schwer verletzten Bein aus einem Schlachthof gerettet worden. Das Bein konnte nicht ganz geheilt werden, aber sie lernte damit zurechtzukommen, indem sie einfach hüpfte. Das viel jüngere Schwein Johnny baute eine enge Beziehung zu ihr auf. Er schlief nachts bei ihr und stand Wache, damit kein anderes Schwein sie bedrängte oder ihr Futter wegnahm. Da Hope tagsüber die meiste Zeit im Stall verbrachte, blieb auch er in der Regel da. Als sie aus Altersgründen verschied, trauerte er scheinbar so tief um sie, dass er wenige Wochen später starb. Unerwartet, denn gesundheitlich angeschlagen war er nicht. (5)
Schweine kommunizieren ständig miteinander. Ihre verbale Kommunikation besteht aus mehr als zwanzig Oinks, Grunzlaute und Quieker für jeweils unterschiedliche Situationen. Dabei ist der besondere Schrei eines leidenden Schweins ein konkretes Signal an alle anderen Artgenossen in seiner Umgebung, ihm konsequent zu Hilfe zu eilen. Neben Mitgefühl zeigen Schweine Trauer und sind sich eines sterbenden Artgenossen bewusst.
Ein drei Jahre altes Schwein lag infolge einer Salzvergiftung im Sterben. Um sein Leid zu lindern, injizierte man ihm ein Betäubungsmittel in den Muskel und dann einen sanften Tod herbeiführendes Mittel in die Vene. Es lebte zusammen mit fünfzehn Schweinen in einem Stall. Nach seinem Tod wurde es zu einer umzäunten Grabstätte gezogen. Seine Artgenossen trotteten neben ihm her bis zum Zaun, wo sie sich in einer Reihe aufstellten und zuschauten, wie ihr Freund ins Erdloch hinabgelassen wurde. Sie machten ein Geräusch, das nur als seltsames Stöhnen beschrieben werden kann. Es klang für die Menschen die zuhören konnten wie ein Abschied nehmen von einem der ihren. (6)
In natürlicher Umgebung leben Schweine, ähnlich wie Elefanten, in zwei oder mehr Schweinefamilien. Sie bestehen normalerweise aus drei bis fünf miteinander verwandten Müttern, ihrem Nachwuchs und einige im Vorjahr geborene Jungtiere.
Die Mütter kümmern sich intensiv um ihren Nachwuchs. Sie singen ihnen, während sie diese säugen, sogar etwas vor. Die kleinen Ferkel lernen so die Stimme ihrer Mutter gut kennen und die vielen Schnauzenkontakte von Mutter und ihren Jungen tragen mit zur Prägung bei. Die Zitzenordnung hat sich innerhalb von 48 Stunden festgesetzt, dann hat jedes Ferkel seine eigene Zitze. Die Muttermilch trinken Ferkel elf bis fünfzehn Wochen lang.
Sie spielen genauso gern wie andere Kinder, ob menschliche oder tierische: Sie jagen sich tobend gegenseitig, kämpfen und purzeln Hügel hinunter.
Aber auch erwachsene Schweine zeigen Spielverhalten wie Rennen und Galoppieren. Dabei wurde schon eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 55 Stundenkilometern gemessen.
Schweine können wahre Helden sein
Manche retten nicht-menschliche Gefährten. So beispielsweise Spammy, die Feuerwehrmänner zu einer brennenden Scheune führte, um ihren dortigen Kalbfreund Spot zu retten. (7) Andere retten menschliche Gefährten: Eine Frau geriet in Panik, als sie im Morast festsaß. Sie wusste nicht, was sie machen sollte, und sie glaubt, ihr Schwein Pru hat das gespürt. Sie hatte einen Strick dabei, den sie als Hundeleine benutzte, und band diesen ihr um. Dann rief sie ihr zu „Lauf heim, lauf heim“, daraufhin ging Pru voran und zog sie langsam aus dem Schlamm. (8)
Und manche retten sich selbst – vor dem Schlachthof: In England sind ein Schwein namens Butch und sein Freund Sundance aus einem Schlachthof entkommen. Mehrere Tage lang sind sie auf dem Land umhergestreift, bis man sie einfing. Obwohl es klar und deutlich war, dass diese Schweine nicht sterben wollten und sich ihre Freiheit erkämpft hatten, wollten einige Personen sie trotzdem schlachten. Glücklicherweise konnte ein nationaler Protest die Tötung der beiden verhindern, sodass Butch und Sundance auf einen Lebenshof kamen.(9)
Christopher hat uns gezeigt, wie man den üppigen Geschmack und Duft dieser reichen, süßen, grünen Welt genießt. Allein das war schon ein großes Geschenk. Aber er zeigte uns noch eine andere Wahrheit. Dass ein Schwein nicht zu Schinken verarbeitet werden muss, sondern vierzehn Jahre lang geliebt und verwöhnt werden kann, bis es friedlich im Schlaf dahingeht, ist ein Beweis, dass wir keineswegs immer „praktisch“ denken müssen. Wir müssen die Regeln, die uns die Gesellschaft, unsere Spezies, die Familie oder „das Schicksal“ angeblich vorschreiben, nicht akzeptieren. Wir können neue Dinge wagen. (10)
Quellen:
(1)(3)(4)(5)(6) Jeffrey M. Masson, Wovon Schafe träumen. Das Seelenleben der Tiere, Wilhelm Heyne Verlag, München 2006
(2)(7)(8)(9)(10) Sy Montgomery, Das glückliche Schwein. Vom Leben mit einem außergewöhlichen Freund, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG 2007.
Fotos:
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