Ein Plädoyer für die Fische
„Ich esse keine Fleisch“, sage ich, „Aber Fisch schon?!“ oder „Das ist kein Fleisch, das ist Fisch“ kommt mir als absurde Antwort meines Gegenübers entgegen. Wie oft erlebt und es geschieht immer wieder. Ganz so, als ob Fische keine Lebewesen wären, die zudem aus irgendetwas anderem bestehen sollen, nur nicht aus Fleisch. Als ob sie nicht leiden oder sich an etwas erfreuen könnten und in keinster Weise kognitive oder soziale Fähigkeiten aufweisen. Für viele sind Fische nur hässlich, schwimmen im Wasser herum. Sogar wenn mensch sie herausfischt, machen sie nichts anderes als nur den Mund auf und zu. Fertig, das ist der Fisch. Doch Fische leiden stumm und somit für niemanden hörbar. Angeln wäre für viele sicherlich nicht mehr „meditativ“, wenn der Fisch an der Angel lauthals schreien würde. Genau das ist das große Problem der Fische, plus ihr, aus menschlicher Sicht, Mangel an Mimik: Sie können ihr Gesicht weder schmerzvoll verzerren noch lächeln.
Doch Fische können sehr wohl ihre Gefühle ( Stress, Aufregung, Wohlgefallen) wie andere Tiere ausdrücken: durch ihre Kämme, ihre Kehllappen, ihre verengten oder erweiterten Pupillen, ihre geöffneten Münder und durch Farbveränderungen in verschiedenen sozialen Kontexten. So ändern viele Fische beispielsweise ihre Farbe, wenn sie von einem Putzer behandelt werden. Dabei gibt es mehrere Arten von Putzerfischen, die andere Fische von Hautschuppen oder Parasiten befreien, ihre Wunden von Schmutz säubern und so Infektionen verhindern und eine Heilung fördern. Der Mensch geht zum Friseur, Fische zu „Putzerstationen“ (1), wo sie sich auch diszipliniert in Warteschlangen anstellen. Laut dem Verhaltensforscher Jonathan Balcombe gibt es Hinweise darauf, dass Fische sogar ihren „bevorzugten Putzer“ (2) haben. Die Fischkunden zeigen ihre Bereitschaft geputzt zu werden, indem sie senkrecht im Wasser stehen und Mund sowie Kiemendeckel öffnen, um es den Putzern leichter zu machen. Den Putzern wiederum wird so an ihre Stationen Nahrung geliefert, sozusagen eine Win–win-Situation. Diese würde nicht entstehen, wenn nicht beide Seiten dies schätzen würden. Sie zeigt zudem, dass Fische ein ausgeprägtes Bewusstsein, ein komplexes Sozialleben haben und sogar mit anderen Fisch- oder Tierarten kooperieren. Der Mondfisch schwimmt extra an die Wasseroberfläche und legt sich auf die Seite, damit Möwen ihn mit ihren Schnäbeln von den Fischläusen erlösen. Balcombe berichtet sogar von einigen Tauchplätzen, wo sich Fische an menschliche Tiere namens Taucher gewöhnt haben und sich von ihnen streicheln lassen. Und dann gibt es noch die Fledermausfische, die bekannt dafür sind, neugierig zu sein. Laut verschiedenen Beobachtungen sollen sie Tauchern tatsächlich nachschwimmen und an deren Fingern oder Ausrüstungen knabbern.
Fische scheinen somit bewusste Entscheidungen zu treffen. Guppyweibchen wählen ihre Partner danach aus, ob sie anderen Weibchen gefallen. Dies beinhaltet einen Akt des Prüfens, Vergleichens, sich Erinnerns und des Erkennens jedes einzelnen Fisches. (3) Der männliche Kugelfisch wurde dabei beobachtet, wie er symmetrische Muster in den Sand macht, dabei stundenlang an seinem künstlerischen Werk arbeitet und noch Muscheln als Dekoration nutzt. Unter anderem eine kreative Einladung für Weibchen und bei erfolgreicher Anlockung legt diese ihre Eier in die Mitte des Musters. Im Schwarm erwarten Fische von den Einzelnen bei Gefahr eine höhere Reaktionsrate als für einen Irrtum, um falschen Alarm zu vermeiden. Wenn sich beispielsweise zwanzig Prozent der Fische häufig irren, muss die Anzahl der Fische, die bei einer für sie bedrohlichen Situation wegschwimmen wollen, höher sein. Erst dann nehmen sie die Gefahr als tatsächlich an und entscheiden sich den Fortschwimmenden zu folgen.
Fische unterscheiden jedes einzelne Schwarmmitglied und bauen soziale Rangordnungen auf. Um ihr Revier zu verteidigen, Partner anzulachen oder Feinden Angst einzujagen nutzen sie Laute. Unter Wasser geht es nicht stumm zu, sondern es wird getrommelt, gequietscht, gegrunzt oder geknurrt. Knurrhähne zählen hierbei zu den besonders lauten Fischen, Bootsmannfische summen sich nächtlich lautstark in die Herzen des weiblichen Geschlechts und verärgerte Welse regen sich so laut auf, dass dies sogar hörbar ist, wenn mensch sie aus dem Wasser holt. Aber sie schlichten auch Konflikte, denn geraten zwei Buntbarsche in einen Kampf, geht ein Dritter dazwischen und löst den Konflikt, ganz neutral.
Auch Fische haben ein gutes Gedächtnis und lernen – die einen schneller, die anderen langsamer. Schützenfische schießen Insekten mit einem Wasserstrahl von Uferpflanzen herunter. Doch bis sie dazu in der Lage sind, mussten sie etwa tausend Versuche von älteren Artgenossen beobachten, fanden Forscher heraus. Lachse finden mit ihrem Geruch immer wieder zu ihrem Geburtsort zurück, selbst wenn sie jahrelang Tausende Kilometer davon entfernt gelebt haben. Regenbogenfische können sich nach elf Monaten noch an einen geeigneten Durchgang in einem Hindernis erinnern.
Fische benutzen ihre Flossen und ihren Mund als Werkzeug. Ein Ankerzahnlippfisch wurde beobachtet, wie er durch Flossenschläge eine Muschel aus dem Sand freischaufelte, sie ins Maul nahm und wohl versuchte sie zu knacken, indem er sie kontinuierlich mit einer Seitwärtsbewegung gegen einen Stein schlug. Folglich hatte er einen Plan und handelte danach.
Viele Menschen wurden Zeugen von aus dem Wasser springenden Fischen. Hierbei entfernen sie Parasiten von ihrer Haut, fliehen vor Fressfeinden oder aggressiven Artgenossen. Oder sie spielen. Diese Fähigkeit bestätigen Forscher schon für die kleinsten Fische. Sie jonglieren mit Gegenständen, springen und üben sich in Verfolgungsjagden. Sie zeigen Lebensfreude und somit die Fähigkeit, etwas zu empfinden.
Wenn sie dazu fähig sind, sind sie auch fähig Schmerz zu empfinden. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der Hormonhaushalt eines Fisches in einer Stresssituation ins Ungleichgewicht gerät. Die Hormonbalance eines Fisches, der beispielsweise nach einem Fang in einen kleinen Eimer geworfen wurde, kehrt nach 48 Stunden erst wieder auf ein normales Level zurück. (4) Bei schmerzhaften Reizen erlernen Fische ein Verhalten, den unangenehmen Reiz zu vermeiden. Sie reagieren somit nicht aus Reflex auf Schmerz, sondern sie haben sehr viele Nervenendigungen über die sie, wie alle Wirbeltiere, Schmerz wahrnehmen. Ihre Wundheilung fördern sie durch Ruhe und meiden Situationen, die sie als gefährlich wahrgenommen haben.
Fische empfinden Schmerzen und Angst. Bei letzterem verbreiten sie Geruchsstoffe im Wasser, durch die Artgenossen schnell über die drohende Gefahr informiert werden. Die meisten von ihnen haben eine hoch entwickelte Wahrnehmungsfähigkeit von Geruch und Geschmack, die Nerven dazu können an jeder Stelle ihres Körpers sein.
Gefangen in Schleppnetzen ist ihre Panik groß: Sie schlagen wie wild mir ihren Schwänzen, verletzen sich und andere Fische. Wenn sie in dieser Enge nicht schon erdrückt oder erstickt sind (sie können ihre Kiemen nicht mehr bewegen), werden sie meist schon verletzt mit den Netzen eingeholt. Durch den dabei entstehenden Druckabfall können sich ihre Schwimmblasen ausdehnen und den Fischen treten die Gedärme aus dem Mund und After heraus.
Bei dem Versuch aus Treibnetzen (auch Kiemennetze genannt) zu flüchten, bleiben sie mit ihren Kiemen oder Flossen in den Maschen hängen. Bei jeder weiteren Anstrengung sich zu befreien, verfangen sie sich mehr und mehr, Angst und Panik überkommt sie. Genauso wie im Ringwadennetz, in dem der Raum, in dem sie gefangen sind, immer weiter schrumpft. Sie versuchen wie wild immer schneller zu schwimmen und aus dem Wasser zu springen, verletzen sich aber bei Zusammenstößen gegenseitig.
Bei Langleinen werden oft Fische (nachdem sie selbst erst den Stress des Gefangenwerdens und die Gefangenschaft durchlebten) lebendig auf Haken aufgespießt – als Köder für den menschlichen Verzehr bestimmter Fische. Die geköderten Fische hängen stunden-, oft auch tagelang, an diesen Haken, die sich an Lippen, Kiemen oder Augen festsetzen. Auch hier kämpfen die Fische panisch und bis zur völligen Erschöpfung, um sich zu befreien. Während sie von anderen freischwimmenden Raubtieren wiederum attackiert werden.
All diese Fische werden, sofern sie noch leben, bei vollem Bewusstsein an Bord geholt. Manche von ihnen ersticken an der Luft (Erstickungsdauer 55 Minuten bis über vier Stunden (5)- je nach Spezies und Methode), andere werden lebendig ausgeweidet und sterben dabei (Dauer 25 bis 65 Minuten), manch andere werden auf Eisblöcke oder in Eiswasser gelegt, das sicherlich zu einer Verlängerung und Vergrößerung ihrer Leiden führt.
Der Beifang
Dazu kommen die Beifänge: pro Jahr etwa 350.000 Wale und Delfine, Millionen Rochen und Haie, 250.000 Meeresschildkröten und andere Meerestiere. Die circa 300.000 Seevögel, die in den Fangnetzen hängen bleiben, nicht zu vergessen. Die Dunkelziffer liegt garantiert höher. Die Mehrheit von ihnen sterben schon in den Netzen, beim Einholen, durch Verletzungen, Erschöpfung aufgrund von Fluchtversuchen, Stress oder durch Infektionen, verursacht durch das Fangen. Die noch Lebenden werden wie Abfall wieder über Bord zurückgeworfen – sie gehören nicht zu den gewünschten oder großen Exemplaren, bringen folglich geringen Gewinn.
All dies wird bewusst in Kauf genommen – für die Lust nach Fisch. Dafür werden auch Fische in Aquakulturen, gezüchtet und unter geringstem Platzangebot zusammengepfercht, erkranken an Parasitenbefall und auf Wildfische übertragbare Infektionen – Massentierhaltung, nur unter Wasser. Darin schwimmen sie ihr ganzes Leben lang im Kreis, bis sie aus dem Wasser gezogen werden. Der Witz an der ganzen Sache ist: Auch ihr Futter besteht aus Wildfischen, Fischöl und Fischmehl. Die Fischzucht trägt somit zur Ausbeutung zahlreicher Tiere und der Meere bei. Denn sie fördert den Fischfang und die Qual der Fische mit um die gefangenen Fische zu ernähren, bevor diese auch umgebracht werden.
Die Medien sind voll von Meldungen und Berichten zu den Folgen, die die sogenannte Überfischung der Weltmeere für die Umwelt und damit für den Menschen verursachen. Laut einer Schätzung der Welternährungsorganisation FAO sind bereits 85 % der Fischbestände bis an ihre Grenzen ausgeschlachtet, überfischt oder bereits erschöpft. Dazu kommen die Wüstenlandschaften unter Wasser, die die kilometerlangen Schleppnetze der Fangflotten hinterlassen. Nicht zu vergessen die große Menge an Antibiotika und die Überdüngung der Unterwasserlandschaften durch Unmengen an Exkrementen der Fische in der Massenhaltung, die zur Vernichtung alles natürlichen Lebens im Umkreis beitragen.
Dabei beginnt das Problem eigentlich schon viel früher. Beim gedankenlosen und ignoranten Verhalten des Menschen gegenüber anderen Lebewesen. Früher gab es mal das Klischee des gefühlslosen Kaltblüters, und selbst wenn die Wissenschaft heute anderes belegt, scheint genau das noch immer in den Köpfen festzuhängen. Nur warum eigentlich, warum maßt sich der Mensch immer wieder an, zur Befriedigung seiner eigenen Interessen lieber einer These zu glauben, die eben nicht auf Wissen, sondern auf reinen Ausreden beruht. Warum nicht einfach mal die Anderen, die wir nicht kennen und in die wir uns nicht hineinfühlen können, mit Respekt begegnen und vor allem leben lassen. In dem Bewusstsein, das auch die, die wir uns nicht erklären können, trotzdem ihren eigenen Wert haben, den Wert eines Lebens.
Fische und andere Wasserbewohner leben in einer uns relativ verborgenen Welt, in der wir selbst, von zeitlich beschränkten Tauchgängen einmal abgesehen, nicht existieren können. Wir sollten damit aufhören sie als unsere Welt zu sehen, die wir gnadenlos ausbeuten dürfen, denn dieses Recht haben wir uns nur selbst gegeben. Wir sollten damit aufhören Leben auszulöschen oder auslöschen zu lassen für einen kurzen Gaumengenuss und das Leerfischen der Meere dabei in Kauf zu nehmen. Wir sollten auch, damit aufhören Fische aus Spaß zu angeln und zu töten und das Ganze noch Sport zu nennen. Wir sollten stattdessen jegliche Fischerei beenden und endlich zu einer friedlichen Koexistenz mit allen Lebewesen dieser Erde finden.
Weitere Quellen:
(1) (2) (3) (4) Jonathan Balcombe, Tierisch vergnügt. Ein Verhaltensforscher entdeckt den Spaß im Tierreich, KOSMOS Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart 2007
(5) V.d. Vis and Kestin, 1996. Killing of fishes: literature study and practice-observations (field research) report number C 037/96 1996 RIVO DLO
Fotos:
(1) (2) Pixabay