Tiertransporte – Achtung Lebendware
Allein in Deutschland fahren täglich etwa 2400 Tiertransporter mit insgesamt 3,6 Millionen Tiere auf den Straßen in industrielle Zucht-, Mast- oder Schlachtbetriebe. Diese können in Deutschland, im EU- In- oder Ausland liegen, je nachdem wo Gewinn und Kosteneinsparungen am Höchsten sind.Wie enorm und breit gefächert der Umfang von Tiertransporten geworden ist, zeigt sich an den Milliarden von Tieren (2012 allein über zwei Milliarden), die jährlich quer durch und aus Europa heraus gekarrt werden.
Die Mehrheit der Tiere muss mehr als einmal in ihrem Leben einen Transport durchstehen. Viele erleben den ersten Transport als Babys, kurz nach ihrer Geburt. Der Mensch erklärte sie zu „Nutztieren“, die zum späteren Verzehr „geeignet“ sind. Er trennt die Babys von ihren Müttern und lädt Kartons voller Küken, Ferkel, Kälber und Lämmer in überfüllte Lkws, um sie an verschiedene Orte zu transportieren. Täglich reißt mensch Tiere wie Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen und Pferde aus ihrer gewohnten Umgebung und weg von bekannten und vertrauten Artgenossen. Sie alle sind „Lebendexporte“, die nun zur Zucht, Mast oder gleich zu Schlachthöfen in Lkws abfahren.
Die Fahrt ins Ungewisse
„Nutztiere“, die oft ihr ganzes bisheriges Leben ohne jegliche Bewegungsfreiheit eingesperrt waren, sehen beim Verlassen ihrer Umgebung meist zum ersten Mal Tageslicht. Kurz – dann müssen sie unter unheimlichen körperlichen Belastungen in ein großes Fahrzeug „einsteigen“. Ihr Körper kennt keine Bewegung mehr, er ist sie nicht mehr gewöhnt. Im Transportbehälter angekommen stehen sie wieder eng aneinandergepresst. Weitere Artgenossen, unbekannte aus anderen Betrieben treffen in dem Behälter ein. Jeder Einzelne mit Angst erfüllt. Keiner weiß, was auf sie zukommt, wohin die „Reise“ geht. Es wir immer enger im Behälter. Manche stoßen mit dem Rücken an die Decke und können sich nicht einmal gerade aufrichten. Dazu tauchen neue Reize auf: Motorgeräusche, Fahrzeugbewegungen und dessen Vibrationen, der folgende Straßenlärm und der Gestank von Abgasen. Auf der Straße kommen ungewohnte Klimaveränderungen und -schwankungen hinzu: Regen, Kälte, Schnee oder Hitze und Schwüle.
Ihre Versorgung ist nun spärlich, wenn überhaupt. Oft sind die Tränkevorrichtungen verdreckt, beschädigt oder einfach nicht erreichbar. Durstig und hungrig stehen sie im Laufe ihres Transportes in ihrem eigenen Kot und Urin, die Luft verwandelt sich in einen Gestank von Ammoniak. Gestresst, erschöpft, eingequetscht, unter Schmerzen und teilweise verletzt verbringen sie oft Tage oder sogar Wochen in dem Transportbehälter. Dann werden sie von unbekannten Menschen meist gewaltsam aus diesen herausgeholt.
Fahrer und Transportfahrzeug tragen ihr Übriges zum Stress dieser Tiere bei: Technische Mängel wie defekte Lüftungsanlagen, falsche Streckenwahl, Staus, Wartezeiten, übermüdete Fahrer, überhöhte Geschwindigkeit und daraus folgende Unfälle. All diese Faktoren verlängern die Transportzeiten erheblich und somit die Leiden der im Transporter steckenden Tiere. Die Folgen sind zusätzlicher Stress und Tod. Bis zu 200 000 Schweine sterben so jährlich.
Tierleid zugunsten der Handelsfreiheit
Sind die Tiere schon innerhalb der EU-Staaten Qualen und Misshandlungen ausgeliefert, geht für manche das Grauen mit dem Überqueren der EU-Grenzen noch weiter.
Nachdem die Tiere in meist überfüllten Transportern quer durch Europa verfrachtet wurden, kommen sie an den EU-Außengrenzen und am Ende ihrer Kräfte an. Hier müssen sie oft mehrere Tage, im Sommer dazu in der prallen Sonne, bei Hitze bis über 50 Grad, in durch Kot und Urin verschmutzten und stinkenden Transporten warten, bis ihr Transport weitergeht. Mittlerweile sind unter ihnen Kranke und Verletzte.
Wir sehen einen Bullen, gross und mächtig. Er liegt am Boden. Sein Gesicht ist mit Kot verschmiert. Er bleibt liegen, als er ausgeladen werden soll (unser Team ist dem Transporter bis zum Zielort gefolgt). Wir nennen ihn Big Boy. Arbeiter wollen ihn auf die Beine zwingen. Sie verdrehen ihm den Schwanz, was sehr schmerzhaft ist. Big Boy reagiert nicht. Erst als ein Arbeiter mit einer Wasserflasche kommt und ihm zu trinken anbietet, reagiert er und nuckelt an der Flasche wie ein Säugling. Die Arbeiter fangen an zu lachen. Dieses Bild bleibt uns für immer in Erinnerung: So ein mächtiges Tier, das in seiner Not wie ein Baby aus der Flasche trinkt.(1)
Manche von ihnen wurden sogar schon in dem Zustand Big Boys verladen, waren also zu Beginn schon nicht transportfähig. Dazu kommen hochtragende Tiere, manche von ihnen gebären in den Transportern, andere landen mit dem Baby im Leib auf dem Schlachthof.
Allein die Türkei bezog zwischen 2010 und 2015 über eine Million Schafe und achthunderttausend Rinder, dazu rund sechstausend Ziegen aus der EU. Laut dem Tierschutzbund Zürich gibt es in Kapikule, die EU-Außengrenze zur Türkei, keine Infrastruktur um die Tiere vor Witterung zu schützen und zu versorgen. Tausende Tiertransporter stehen hier über Stunden, Tage oder Wochen hinweg, an Bord die durstigen, verletzten, verzweifelt schreienden Lebewesen.
Wir sehen einen ungarischen Kälbertransporter. Das Schreien der Kälber ist herzerweichend und weithin zu hören. Zwischen den Gitterstangen sehen wir ihre Nasen herausragen, ihre Zungen lecken ins Leere. Verzweifelt suchen sie nach Wasser. Das Tränkesystem auf dem Transporter ist leer, die Tränkenippel ungeeignet. Da würde nicht einmal das nachträgliche Befüllen der Wassertranks helfen.
Wir sehen etwas weiter entfernt einen holländischen Transporter. Auch hier schreien die Kälber. Drinnen liegen bereits mehrere Tiere im tiefen Dreck aus Mist und Urin. Ein Kalb ist tot, einbalsamiert mit Exkrementen. (2)
Tiere, die in EU-Exportställen beispielsweise in Sachsen landen, müssen neben dem Transport in Lkws noch die Misshandlungen an Verladehäfen über sich ergehen lassen: Tritte, Stockschläge und Elektroschocks. Schließlich sollen sie kooperieren. Tiere, die vor Erschöpfung überhaupt nicht länger gehen können oder aufgrund von gebrochenen Gliedmaßen die Rampe nicht mehr hochkommen, werfen Arbeiter mittels Gabelstapler und Seilwinden auf die Schiffe. Im Frachtraum der Schiffe können sich die Tiere wie in den LkWs so gut wie gar nicht bewegen. Sind sie an Bord großer Schiffe, dauert die Beladung oft mehrere Tage.
Nicht alle Tiere überleben die Fahrt. An Bord eines Schiffes sind 5200 Schafe auf dem Weg von Rumänien nach Jordanien verdurstet. Manche Leichen werden einfach über Bord geworfen: An der israelischen Küste wurde ein totes Kalb angeschwemmt, mitten auf dem Mittelmeer schwamm ein aufgedunsener Kadaver eines Rindes. Es kam auch schon vor, dass vollgeladene Schiffe untergingen, mit ihnen die zusammengepferchten Lebewesen.
Das Tier als Handelsgut
Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie die Tiere behandelt.
Mahatma Gandhi (3)
Wie groß kann eine Nation sein, die Lebewesen zur „Ware“ erklärt? Wie groß ist eine Nation, die fühlende Wesen als Güterarten bezeichnet wie Getreide, Holz, Chemikalien oder Maschinen, nur weil diese einer anderen Spezies zugehören?
Es gab eine Zeit, in der auch ein Teil der menschlichen Erdbevölkerung als „zu etwas anderem zugehörig“ betrachtet wurde. Eine Zeit in der Millionen von Sklaven aus Afrika als menschliche Fracht in den Unterdecks der Schiffe zusammengequetscht eingesperrt wurden, um diese nach Nordamerika und anderen Teilen der Welt zu verschleppen. Auch sie wurden geschlagen, wenn sie nicht kooperierten und über Bord geworfen, wenn sie krank wurden oder starben. Die Überlebenden wurden ausgebeutet, „gezüchtet“ und weiterverkauft. Deren Händler verdienten ein Vermögen damit. Diese Art der Ausbeutung wurde glücklicherweise abgeschafft. Eine Ähnliche, die Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere, blieb und wurde sogar intensiviert.
Die wahre moralische Prüfung der Menschheit […] äußert sich in der Beziehung der Menschen zu denen, die ihnen ausgeliefert sind: zu den Tieren. Und gerade her ist es zum grundlegenden Versagen des Menschen gekommen, zu einem so grundlegenden Versagen, dass sich alle anderen aus ihm ableiten lassen.
Milan Kundera (4)
Der Mensch sieht sich im Recht, nichtmenschliche Tiere wirtschaftlich zu nutzen. Er deklariert sie zu „Nutztiere“ und teilt damit ihr gesamtes Leben in verschiedene Schritte eines Arbeitsvorgangs ein: Zucht, Haltung, Mast und Schlachtung. Sie sind die „Ware“, tot und zerlegt das „Produkt“ in einem Wirtschaftszweig namens Agrarindustrie mit ihrer Bestrebung nach dem höchsten Profit.
Dort, wo es die höchsten Profite zu erzielen gibt, die Kosten für Futter und der Arbeitslohn niedrig oder die Tierschutzstandards noch nachlässiger sind, dorthin fahren die Transporter mit ihrer „Ware“: eingesperrte, gestresste und verängstigte Lebewesen. In dem einem Land geboren, in dem anderen gemästet und im nächsten geschlachtet – der normale Wahnsinn in der Tierausbeutungsindustrie.
Die Aufschrift „Achtung, lebende Tiere“ auf den Containern ersetzt die Beschriftung „Achtung, zerbrechlich“ auf Kartons. Ihr „Wohlwollen“ gegenüber nichtmenschlichen Tieren zeigen die EU- Nationen eigens mit einer EU-Transportverordnung, in der sie Transport-, Ruhephasen und Versorgungszeiträume regeln. Gegen diese wird allerdings häufig, bei EU-Exporten sogar systematisch verstoßen. Schlimmer noch: Dem Wohlergehen des Tieres (Artikel 13 des Lissabonner Vertrages) wird bei einem Transport, in dem das Tier als „Ware“ fungiert, überhaupt nicht Rechnung getragen. Nichtmenschliche Tiere werden mit unterschiedlichem finanziellen Wert gewichtet. Dabei gilt: Je weniger finanziellen Wert sie haben (die sogenannte C-Ware), desto schlimmer sind ihre Transportbedingungen.
„Transportverluste“, also Tiere, die qualvoll auf dem Transport gestorben sind, sind in diesem brutalen Geschäft schon einkalkuliert. Sie fallen „finanziell nicht ins Gewicht„, und sind insofern unwichtig. Die wesensverachtende Praxis hinter Tiertransporten und der „Ware“ Tier überspielt mensch auf groteske Weise mit Sätzen wie: „Marokkos Milchkühe muhen Deutsch„.
Und der Export von Lebewesen aus der EU blüht geradezu auf. Jedes Jahr liefern EU-Länder Millionen lebender Tiere (Zuchttiere und Schlachttiere) in die Türkei, den Nahen Osten oder Nordafrika aus, wo sie oftmals aus religiösen Gründen geschächtet werden. Laut Animals´Angels, die international agierende Fachorganisation für Tiertransporte, wurden 2014 alleine über drei Millionen Schweine, Schafe und Rinder verfrachtet, darunter fast 116 000 Tiere aus Deutschland.
Alles empfindungsfähige, fühlende und denkende Wesen mit eigenen Interessen, körperlichen, geistigen und sozialen Bedürfnissen. Die alle das Recht auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit haben. Indem der Mensch sie zur „Ware“ erklärt, spricht er ihnen all das ab.
Tiere sind […] die bedauernswerten Sklaven und Opfer des brutalsten Teils der Menschheit.
John Stuart Mill (5)
Der Glaube, der Mensch hätte ein natürliches oder gottgegebenes Recht sie für seine Zwecke auszunutzen, nur weil sie nicht zu der menschlichen Spezies gehören, ist arrogant und nicht mehr zeitgemäß. Dieser Glaube zeigt mitnichten einen moralischen Fortschritt einer Nation, die sich für zivilisiert, aufgeklärt und vernünftig hält.
In Gedenken an
und alle anderen transportierten und getöteten Tiere.
Zitate:
(1)(2) tierschutzbund-zuerich.ch/TSB_Berichte_01-2016
(3) Mahatma Gandhi, Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung (1869-1948)
(4) Milan Kundera,tschechisch-französischer Schriftsteller, in: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins
(5) John Stuart Mill,britischer Philosoph und Ökonom