Ein Schuss für die Umwelt
Jedes Jahr das gleiche Spiel: Sie ziehen ihre Tracht an, werfen das Gewehr über die Schulter und auf geht´s – zur Jagd. Für einen gesunden, artenreichen Wildbestand. Gegen eine Überpopulation und Wildschäden. Eine große Aufgabe für die Freunde und Hüter der Natur. Aber was machen sie da eigentlich?
Die französische Ökologin Sabrina Servanty betrieb über 22 Jahre eine Wildschweinstudie. Sie dokumentierte, dass in stark bejagten Gebieten jede dritte einjährige Wildsau früher wirft, also früher fruchtbar wird, als in unbejagten, friedlichen Gegenden mit hervorragendem Nahrungsangebot. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Jagd selbst für eine Überpopulation der Wildtiere verantwortlich ist. Sie reißt Familienverbände auseinander, worauf die Überlebenden mit vermehrter Fortpflanzung reagieren, um die verursachten Lücken aufzufüllen. Auch das Kirren erhöht die Wildtierpopulation. Hierbei werden die Tiere durch gezielte Fütterung von beispielsweise Mais an „geeignete Abschussplätze“ gelockt. Laut Untersuchungen waren beispielsweise in Wildscheinmägen 30 % Futtermais enthalten. (1) Jäger füttern zum Jagen Tiere an und greifen so in den natürlichen Nahrungsbestand ein. Normalerweise regulieren Umwelteinflüsse wie Witterung, Krankheiten und eben Nahrungsangebot die Wildpopulationen.
Des Weiteren ziehen sich stark bejagte Tiere tiefer in die Wälder zurück, sofern diese Möglichkeit besteht. Da hier jedoch weniger Graslandschaften vorhanden sind, entstehen die sogenannten „Wildschäden“, gerade das, was die Jäger eigentlich vermindern wollen.
Ein Beispiel für die Jagd als Schadenverursacher zeigte sich in Belgien. Gerade um Schäden in der Landwirtschaft zu vermeiden, wollte das Land erreichen, dass Gänse alle Flächen gleichmäßig nutzen. Dazu führte es ein Jagdverbot ein, dehnte dieses Schritt für Schritt aus und setzte es letztlich landesweit in Kraft. Das Ergebnis: Die Gänse müssen keine Fluchtorte mehr aufsuchen. Sie nutzen nun alle Grünlandflächen gleichmäßig und schonend, da sie diese in einem bestimmten Zyklus durchwandern.
Allein das Aufjagen der Tiere führt zu einem erhöhten Energieverbrauch, der wiederum zu verstärkter Nahrungsaufnahme auf Landflächen führt. (2)
Aber es gibt ja noch andere Gründe, um zur Jagd zu blasen: das Vollkoten von Grünanlagen durch Gänse. Und die nach dieser Jagd überzähligen Erpel, die dann eine Gefahr für die Weibchen darstellen. (3) Also einfach mal „nachhaltig“ schießen?
„Jagd ohne Mord ist ein Begriff, der sich selber aufhebt.“ (4)
Mancher Zeitgenosse behauptet, eine Jagd sei fair und waidgerecht, also der Jagd und dem jagdlichen Brauchtum gemäß. Fair bedeutet gerecht im Verhalten gegenüber anderen zu sein. Darunter verstehe ich aber nicht, Lebewesen in Todesangst zu versetzen. Sie aus dem Hinterhalt, folglich hinterhältig zu attackieren oder sie wissentlich vor das Gewehr des Schützen zu treiben, der diese dann erschießt.
Auch verstehe ich nicht, was der Begriff „Fairness“ beispielsweise bei Treibjagden im Gatter zu suchen hat. Bei denen Tiere in Volieren gezüchtet und gemästet werden, bis sie im Gatter zum Abschuss „freigelassen“ werden. Ganz zu schweigen von der Jagdhundeausbildung, in der die Hunde lernen, ein Tier aufzuspüren und in Bewegung zu setzen. Diese Übungen am lebenden Wildschwein, Ente, Fuchs oder anderem Tier finden ebenfalls in Gattern oder aber in Schliefenanlagen statt. Die dafür gezüchteten „Trainingstiere“ werden ihr ganzes Leben für diesen einen Zweck gefangen gehalten. Ganz zu schweigen von den in ihrer panikartigen Flucht verletzten oder angeschossenen Tieren, die unter Schmerzen noch tagelang versuchen zu überleben. Oder Tiere, deren Gliedmaßen in Fallen eingeklemmt sind, qualvoll sterben und mit ihnen ihr zurückbleibender Nachwuchs. (5)
Auch Wildunfälle beugt die Jagd nicht vor. Auf der Flucht vor den Jägern, besonders bei Treibjagden, kommt es zu zahlreichen Wildunfällen. Die Tiere flüchten und rennen panisch wortwörtlich um ihr Leben, dabei leider auch über Straßen und durch Siedlungen. Was an all dem fair sein soll, ist mir ein Rätsel.
„Jagd ist nur eine feige Umschreibung für besonders feigen Mord am chancenlosen Mitgeschöpf. Die Jagd ist eine Nebenform menschlicher Geisteskrankheit.“ (6)
Ein weiteres Argument der Jägerschaft ist, dass die Natur sich nicht selbst regulieren kann. Denn die natürlichen Feinde fehlen, die die Wildpopulation in Grenzen hält. Raubtiere sorgen für eine positive genetische Auslese, indem sie Tiere töten, die krank und schwach sind. Sie tun das genaue Gegenteil von Jägern, unter deren Jagdopfern sich oftmals besonders große und gesunde Tiere befinden.
Seltsamerweise wurden gerade diese natürlichen Feinde wie der Wolf fast ausgerottet. Aber mit seinem erneuten Auftauchen kamen vonseiten der Jäger kaum Begeisterungsschreie. Vielmehr tauchten wieder Stimmen für dessen Bejagung auf. Schließlich stelle er eine Gefahr für Menschen dar, reiße Nutztiere und noch vieles mehr. Auch Luchse und Füchse sind unter Beschuss. Was haben all diese natürlichen Feinde gemeinsam? Sie scheinen die Konkurrenten der Jägerschaft zu sein, fressen ihnen gar die Beute weg. Der Spiegel berichtete von Jägern, die aufgrund des großen Appetits der Luchse mit Gewinnverlusten am Wildbret rechneten.(7) Anstatt über die Wiederkehr der natürlichen Feinde froh zu sein, sind sie unglücklich. Einige regen sich sogar über Schutzvorgaben für manche Arten auf, über Abschussverbote sowieso. Manch einer spricht dann auch von einer „Enteignung“, die sogar verfassungswidrig sei. (8)
Der böse Fuchs
Ein besonderer Übeltäter ist der Fuchs. Er galt als Überträger der Tollwut und erkrankt am Fuchsbandwurm.
Dabei war die Bekämpfung der Tollwut durch den Einsatz von Impfködern sinnvoller und zielorientierter. Der Schweizer Kanton Wallis machte damit sehr gute Erfahrungen. Er ist seit 1981 tollwutfrei. Seitdem regulieren die Füchse den Artenbestand selbst, indem sie kranke und schwache Tiere erbeuten und somit auslesen. Auch Deutschland gilt seit 2008 gemäß der Weltgesundheitsorganisation WHO als kontrolliert tollwutfrei – wie weite Teile Europas. Allein durch das Auslegen von Tollwut-Impfködern. Auch bei der Fuchsbandwurmerkrankung ist nur eine Entwurmungsaktion erfolgreich, wie das Projekt des Wissenschaftszentrums Weihenstephan am Starnberger See zeigte. (9)
Eine Jagd mit dem Ziel eine Krankheit auszurotten ist nicht gerade nachhaltig. Durch die andauernde Bejagung der Tiere sind diese ständig auf der Flucht. Überlebende Tiere versuchen an anderen Orten Ruhe zu finden, wobei kranke geflüchtete Tiere andere in den dortigen Revieren wiederum anstecken.
Trotzdem geht die Jagd auf den Fuchs weiter. Denn daneben ist sie ein kulturelles Ereignis ganz im Zeichen der Tradition. In der „Nacht des Fuchses“ beispielsweise ruft die Salzburger Jägerschaft zur Jagd auf Füchse auf – Alter und Geschlecht sind egal.
Scheint eigentlich immer gleichgültig, wenn ich da an zwei Fuchswelpen namens Jacky und Julchen denke. Die Wildtierhilfe Mecklenburg-Vorpommern zog sie liebevoll auf und wilderte sie aus. Nach fünf Tagen in freier Wildbahn wurden sie bei einer Treibjagd erschossen – auf einem befriedeten Gebiet. (10)
Jäger erschießen auch streunende Katzen. Darunter oftmals Haustiere, die sich nicht einmal weit von ihren Besitzern aufgehalten haben. Laut den „Naturfreunden“ fressen sie, wie Iltisse und Hermeline, zu viele Vögel. Vögel wie Höckerschwäne sind wiederum von Anfang November bis Mitte Februar zur Jagd freigegeben. (11)
Für zu kurz Gekommene gibt es noch den Jagdtourismus: In einigen osteuropäischen Ländern dienen Gänse als lebendige Zielscheiben für westeuropäische Besucher – ohne hinderliche Naturschutzauflagen. (12) Und wer das ganz große Abenteuer sucht, nimmt an Safaris in die Antarktis teil um Eisbären zu schießen. Oder reist nach Südafrika, um Wildtiere als Trophäen mit nach Hause zu nehmen. (13)
Unzählige Tiere werden Jahr für Jahr erschossen. Für was genau noch mal?
Quellen:
(1) https://www.ariwa.org/wissen-a-z/wissen-a-z/jagd.html
(2) Hans-Heiner bergmann, Helmut Kruckenberg, Volkhard Wille, Wilde Gänse. Reisende zwischen Wildnis und Weideland, DRW-VerlagWeinbrenner GmbH & Co. KG, Leinfelden-Echterdingen 2006
(3) http://www.derwesten.de/staedte/essen/nord-west-borbeck/zu-viel-kot-jaeger-schiessen-auf-wildgaense-im-essener-krupp-park-id10846654.html
(4) 2009 gestorbene Zürcher Psychoanalytiker Paul Parin
(5) http://www.veganblog.de/2015/01/grausame-fallenjagd-deutschland
(6) Theodor Heuss, erster Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland
(7) http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/raubkatzen-im-harz-luchse-fressen-jaegern-die-beute-weg-a-1019305.html
(8) http://www.welt.de/politik/article133765347/Die-Gruenen-machen-Jagd-auf-die-Jaeger.html
(9) http://www.wildtierschutz-deutschland.de/2015/01/wildtierschutz-deutschland-kritisiert.html
(10) https://www.change.org/p/landtag-mecklenburg-vorpommern-petitionsausschuss-lenn%C3%A9stra%C3%9Fe-1-19053-schwerin-%C3%A4nderung-des-jagdrechtes-nach-abschuss-von-zwei-fuchs-welpen-in-einem-waldgebiet-in-mecklenburg-vorpommern
(11) http://www.ostsee-zeitung.de/Vorpommern/Stralsund/Jaeger-erschiessen-mehr-als-50-Schwaene
(12) Hans-Heiner bergmann, Helmut Kruckenberg, Volkhard Wille, Wilde Gänse. Reisende zwischen Wildnis und Weideland, DRW-VerlagWeinbrenner GmbH & Co. KG, Leinfelden-Echterdingen 2006
(13) http://www.taz.de/!5101282/
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