Tuskless – ohne Stoßzähne geboren
Immer mehr Elefanten kommen ohne Stoßzähne auf die Welt. Während Wilderer weitere Exemplare mit Stoßzähnen suchen und töten – Tausende Tiere, jedes Jahr. Elfenbein zählt für manche mehr, als das Leben eines Elefanten.
Unter allen afrikanischen Elefanten gibt es Tiere mit großen, aber auch mit kleinen Stoßzähnen. Nun werden Elefanten zunehmend mit kleinen oder gar keinen Stoßzähnen geboren. War dies vorauszusehen?
2008 fanden Forscher heraus, dass sich die Größe der Stoßzähne verändert hatte. Unter den Tieren, die über Stoßzähne verfügten, waren Letztere fast halb so klein wie die ihrer Artgenossen des vorigen Jahrhunderts. Eine im selbigen Jahr veröffentlichte Studie in der Fachzeitschrift „African Journal of Ecology“ stellte fest, dass die Zahl von Elefantenkühen ohne Stoßzähne im South Luangwa Nationalpark in Sambia und der angrenzenden „Lupande Game Management Area“ zwischen 1969 und 1989 gestiegen war: von 10,5 auf 38,2 Prozent. In einem Schutzplan für die Erhaltung dieser Dickhäuter aus Uganda 1991 war von einem höheren Prozentsatz von Tieren ohne Stoßzähne als normal (drei bis vier Prozent) die Rede: Eine Untersuchung im Jahre 1989 ergab, dass der Anteil von Elefanten ohne Stoßzähne im Queen Elizabeth National Park auf neun bis 25 Prozent gestiegen war. Beide Studien sahen die Hauptursache in der Wilderei und der Jagd auf Elfenbein.
Die Elefantenforscherin und Mitdirektorin der Organisation „Elephant Voices“, Dr. Joyce Poole, untersuchte schon in den achtziger Jahren die Elefantenpopulation in Mosambik, ihr Fortpflanzungsverhalten und die Auswirkungen der Wilderei auf die grauen Riesen in Ostafrika. Auch sie sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Intensität der Wilderei und der Prozentzahl der Elefantenkühe, ohne eine Veranlagung zu Stoßzähnen. In dem Gorongosa Projekt von „Elephant Voices“ wurde beobachtet, dass seit die Elefantenpopulation eine extreme Elfenbeinjagd während des Bürgerkriegs (1977-1992) erlebt hat, ein großer Teil dieser keine Stoßzähne hat. Zwar ist die Wilderei hier nun unter Kontrolle und die Population ist sich gut am Erholen. Trotzdem geben die Elefanten die Veranlagung keine Stoßzähne zu haben, an ihre Nachkommen weiter.
Aufgrund jahrzehntelanger Wilderei und Überjagung wächst eine neue Generation heran.
Große und ältere Bullen, die der lebende Beweis für ein erfolgreiches Überleben waren und aufgrund ihres „Überlebensgens“ von Elefantenkühen bevorzugt, wurden dezimiert. Diese Bullen können und werden ihr Erbgut samt „Überlebensgen“ und der Veranlagung großer Stoßzähne nicht mehr weitergeben. Die Jagd nach Elfenbein geht unterdessen weiter und trifft nun vermehrt jüngere Tiere mit noch nicht komplett groß gewachsenen Stoßzähnen. Obwohl im fortpflanzungsfähigen Alter, können sie ihr mögliches Potenzial große Stoßzähne zu entwickeln auch nicht mehr weitervererben. Laut Poole wird die Wilderei die Gene für große Stoßzähne ausselektieren. Dem Independent nach berichten Forscher von manchen Gegenden, in denen heute 98 Prozent der weiblichen Elefanten gar keine Stoßzähne mehr haben. Und diese werden diese Veranlagung mit hoher Wahrscheinlichkeit an ihre Nachkommen weitergeben.
Doch die Wilderei hinterlässt nicht nur eine Generation von Elefanten ohne Stoßzähne. Zurückbleiben auch zerstörte Verbände, zersplitterte Familien und traumatisierte Individuen. Alle verzweifelt auf der Suche nach Gebieten, die ihnen Schutz bieten. Die Dokumentation „Wie Elefanten denken“ zeigt, wie sie gezielt versuchen Gebiete zu umgehen, in denen Wilderer lauern. Aber ihr Lebensraum wird auch durch das starke menschliche Bevölkerungswachstum kleiner. Der Versuch die Konflikte zwischen Menschen und Tieren zu verringern, gehen für Elefanten nicht schön aus: Sie werden verletzt, durch Speere durchbohrt, vergiftet oder gefangen und verschleppt.
Oder sie enden aus Gründen des Artenschutzes hinter Gittern. Doch als fühlende Individuen geht es ihnen hier nicht besser: Ihre Kinder, gezeugt um die Besucherzahlen in Zoos zu erhöhen, werden ihnen früher oder später aus Platzmangel entrissen und in andere Zoos gebracht. Solch künstliche Zusammenführungen enden nicht immer harmonisch. Egal ob Tier oder Mensch, jeder hat seinen eigenen Charakter und versteht sich einfach nicht mit allen. Also folgt für manch Elefanten eine Zeit der Einsamkeit, die es zu überstehen gilt. Ihre natürlichen Verhaltensweisen und Bedürfnisse können sie in Zoos nicht ausleben, sie verkümmern. Unfähig für ein Überleben in der freien Natur können sie nicht mehr ausgewildert werden. Was bleibt, ist eine unnatürliche Umgebung, deren psychischen und physischen Bedingungen es diesen großen und sozial komplexen Tieren unmöglich macht, sich anzupassen. Die Folgen: chronische Krankheiten, Verhaltensstörungen und eine verkürzte Lebenszeit. Laut den Forschern Ros Clubb und Georgia Mason, die Daten von rund 800 Elefanten in europäischen Zoos auswerteten, wird ein afrikanisches Tier durchschnittlich 17 Jahre alt. In einem Nationalpark leben afrikanische Elefanten dagegen im Durchschnitt 56 Jahre.
Auf dem einen Erdteil gejagt, auf dem anderen lebenslänglich eingesperrt. Dabei gäbe es einen Weg, der jedem einzelnen Elefanten und seiner Familie zugutekäme: Statt Zoos zu subventionieren, könnten diese Steuergelder in den Erhalt ihrer (und aller anderen Tiere) natürlichen Lebensräume fließen. In Wildereipatrouillen und deren Ausrüstung – für einen effektiven Schutz der letzten frei lebenden Elefanten. Das, nenne ich „Artenschutz“.