Auch bei Gänsen gestaltet sich die Partnersuche manchmal kompliziert. Haben sich zwei gefunden, heißt es entweder pures Familienglück oder Eifersucht, Gezeter und Trennung.
Partnersuche – Triumphgeschrei – Beziehungskrisen
Das Verlangen nach einer Paarbindung ist bei Wildgänsen stärker als bei Hausgänsen – und Menschen. Hat sich ein Paar gefunden, verbindet sie etwas Besonderes – der gemeinsame Triumphschrei. Zwei Gänse bilden ab dem Zeitpunkt ein Paar, in dem sie zum ersten Mal zusammen das gleiche „Triumphgeschrei“ (1) verlauten lassen. Damit geben sie offiziell bekannt: „Wir sind ein Paar.“ Sollte fortan ein fremder Artgenosse es wagen, sich in der Nähe dieses glücklichen Gänsepaares aufzuhalten, weiß der Ganter, was zu tun ist. Während die Gans sich zurückhält, rennt oder schwimmt dieser mit vorgestrecktem Hals auf den Eindringling zu und bricht meist vorbeugend einen Streit vom Zaun. Vorwände für einen Streit gibt es schließlich immer. Zu einem Kampf kommt es dabei selten, da der Angegriffene vorher schon flüchtet. So kann sich der Ganter stolz zum Sieger erklären und kehrt mit einem „Triumphgeschrei“ zu seiner Grande Dame zurück. Es folgt ein leiseres Schnattern seinerseits, in das die Gans mit einstimmt. Die Fronten sind geklärt, dem Eindringling haben sie gezeigt, wo der Hammer hängt. Bei vielen Gänsepaaren ist der Zusammenhalt so groß, dass sie einen aufdringlichen Eindringling einfach gemeinsam verprügeln. Was sein muss, muss sein.
So schön es für die ist, die einen Partner gefunden haben, gibt es auch unter Gänsen welche, die (noch) alleine herumwandern. Schweigend begeben sie sich auf Partnersuche. Diese kann schwierig sein, denn auch bei Gänsen beruht eine lebenslange Verbindung mitunter auf Sympathie. Wie schlimm es für Gänse ist alleine zu sein, zeigt sich in ihrer Körperhaltung: Sie nehmen eine Trauerhaltung, den „Winkelhals“ (2) ein, indem sie den Hals, so gut es geht, einziehen. Oder sie gehen gebeugt in „Duckmäuserstellung“ (3) durch die Welt und zeigen deutlich, wie tieftraurig sie sind. Dazu stimmen sie das „Weinen des Verlassenseins“ (4) an. Sie hören auf zu essen, zu trinken, pflegen sich nicht mehr, schlafen nicht und sterben früher oder später an den Folgen. So ergeht es auch Witwern und Witwen, Ausgestoßenen oder getrennten Partnern aus zerrütteten Beziehungen, die in Streit und Prügel endeten. Ein Partner, der trauert, benötigt meist eine lange Zeit, bis er einen neuen Partner oder Partnerin findet.
Laut dem Tierschriftsteller Vitus B. Dröscher (5) gibt es, wie beim Menschen, eine immense Bandbreite verschiedener Übergangsformen zwischen absoluter Beziehungsunfähigkeit und lebenslanger Partnertreue. Wie es um eine Gänsepartnerschaft steht, ist an der Intensität des Triumphgeschreis erkennbar: Partner, die vehement schnattern, leben in einer völligen harmonischen Beziehung. Geht es leiser zu, stimmt etwas nicht. Gewaltige Krisenstimmung herrscht bei völliger Schweigsamkeit – Streit oder gar Trennung sind vorprogrammiert.
Aber normalerweise bleiben Gänse, wenn es irgendwie möglich ist, ein Leben lang zusammen. Ist der Partner oder die Partnerin für den oder die andere plötzlich außer Sichtweite oder haben sie sich verloren, rufen sie einander. Dabei hat jeder einen für den anderen unverkennbaren individuellen Ruf, mit dem er oder sie sein Gegenstück auf weite Entfernung erreichen kann. Nichts wäre schlimmer, als einander verloren zu gehen.
Bis sich ein Paar für eine lebenslange Bindung gefunden hat, kann es mitunter drunter und drüber gehen. Auch bei Gänsen gilt: Unklare Situationen erzeugen Eifersucht, Hass und (Flug-)Kämpfe.
Laut Dröscher kann die Paarbildungszeit in einer überfüllten Brutkolonie für Beziehungen eine weitere Gefahr darstellen. Alle sind bemüht, sich von der besten Seite zu zeigen: Schnabel, Kopf und Hals werden kurz ins Wasser getaucht, der Hals wird schön gebogen und die Flügel werden hochgefaltet. Durch diese Posen, die maximalen Sex-Appeal für Gänse ausstrahlen, beginnen Beziehungsschwierigkeiten, Seitensprünge, Streitereien und Trennungen. Obwohl Gänse sehr treue Lebenspartner sind, finden sexuelle Seitensprünge auch von fest verpaarten Gantern statt. Und die Gänse machen sich, wurden sie von ihrem Partner zu lange alleingelassen, vor anderen Gantern hübsch.
Dann gibt es noch Gänse, die wissentlich oder unwissentlich als Leihmütter fungieren. Indem ein Ganter aus einer gleichgeschlechtlichen Beziehung sich mit einer außenstehenden Artgenossin einlässt, hat das gleichgeschlechtliche Pärchen für Nachwuchs gesorgt. Nachdem die Gans Eier ins Nest gelegt hat, beachten die Ganter sie nicht mehr und besetzen einfach das Nest. Dreiecksbeziehungen gibt es trotzdem und sind nicht unüblich: Hierbei schließen sich junge Weibchen an Paare (egal ob gleichgeschlechtlich oder nicht). Die Grundbeziehung der Paare bleibt aber lebenslang stabil. (6)
Gemeinschaftssinn auf „Gänsisch“
Wölfe heulen im Chor, Gänse stoßen ihr „Triumphgeschrei“ aus. Schon die Gänseküken sind damit vertraut und üben fleißig. Selbst wenn Papa Ganter fürchterlich mitgenommen als Verlierer von einem Kampf zurückkehrt, brüllen die Kids ihr „Triumphgeschrei“ aus. Niederlagen werden, nach Dröscher, wie Siege gefeiert. Das festigt die Familienbande.
Das „Triumphgeschrei“ stärkt auch die Gruppenzugehörigkeit und den Gruppengeist. So stimmt eine Gänseschar, die zusammenweidet ab und zu einen „Triumphmarsch„(7) an. Dazu gibt es in der Gruppe Absprachen über das Marschtempo. Wie schnell oder langsam gewatschelt wird, hängt von der Anzahl der Silben
Ein Schnattervers mit sieben Silben beinhaltet die Nachricht: Hier fühlen wir uns wohl, hier können wir verweilen. Bei sechs Silben ist die Wiese dürftig, langsames Vorwärtswatscheln ist angesagt. Drei Silben besagen: „Schnellstmögliche Watschelgeschwindigkeit. Achtung! Vielleicht fliegen wir gleich los!“(8)
Die Familie – ein hoher Stellenwert bei Gänsen
Die Familie hat bei Gänsen einen sehr hohen Stellenwert. Das Paar, dem es gelingt lange zusammenzubleiben und möglichst viele Kinder großzuziehen, steigt im Rang seiner Schar auf. Der Erfolg eines Paares hängt von seiner Leistung als Eltern ab. Je erfolgreicher sie sind, desto enger halten sie als Paar zusammen. Bleibt der Erfolg aus, sind sie eher geneigt, den Partner zu wechseln. (9)
Ein Gänsepaar macht alles gemeinsam – Jungenaufzucht mit inbegriffen. Dabei beschützt der Partner seine Partnerin und die Jungen. Bei „Frischvermählten“ bestimmt die Gans den Nistplatz, dabei kehrt sie zum Teil genau an den Nistplatz ihres Geburtsorts zurück. Zwar brütet sie alleine aus, aber der Ganter bleibt immer in der Nähe und passt auf, dass sie ihre Ruhe hat. Nur um etwas zu essen, verlässt sie kurz das Nest – selbstverständlich in Begleitung des Ganters. Er behütet sie vor Feinden und fremden aufdringlichen Gantern, die auf dumme Ideen kommen könnten.
Schon während der Brut nehmen die Küken Kontakt mit ihren Eltern und ihren Geschwistern in den benachbarten Eiern auf. Zwei Tage bevor sie schlüpfen äußern sie einen weinerlich klingenden pfeifenden „Wi“-Laut. Dieser ertönt auch als Antwort auf Laute der Mutter oder der Geschwister und bei Schwierigkeiten während des Schlüpfens. Der Ganter ist während des Schlupfes dabei.
Im Alter von zehn Tagen können die Küken Familienmitglieder von Nicht-Verwandten unterscheiden. Sie lernen von ihren Eltern, wie eine Gans sich gegenüber anderen Gänsen verhält, an welchem Gewässer eine Gans am Besten übernachtet, welche Plätze die beste Nahrung haben und welches Essen am Schmackhaftesten ist. Den Weg dorthin zeigt die Mutter. Sind die Jungen flügge, darf der Ganter meist vorneweg marschieren. Während sie essen, überwacht immer ein Elternvogel die Umgebung. Schutz, Wärme und Ruhe finden sie unter den Flügeln ihrer Gänsemutter.
Hilfsbereitschaft und traditionelle Winterquartiere
Im September beginnt für die Wildgänse der Flug zu den mitteleuropäischen Herbstrastplätzen. Zahme Gänse folgen zwar nicht dem Flug der wilden Artgenossen gen Süden, aber etwas „zugunruhig“ werden auch sie.
Erfahrene Gänseeltern kennen sichere Rastgebiete: meist Gewässer, die von ihren Vorfahren seit Jahren aufgesucht und unter Gänsen von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Folglich geben auch sie ihr Wissen über traditionelle Rastplätze und Winterquartiere an ihren Nachwuchs weiter. Auf dem Weg dorthin versuchen die Eltern ihr Möglichstes, um ihre Kinder vor Adlern und anderen Raubvögeln, Windkraftanlagen und Jägern zu schützen. Denn mancherorts müssen Gänse als lebendige Zielscheiben des Jagdtourismus herhalten.
Besonders erfolgreiche Eltern flogen sogar in den darauffolgenden Jahren noch mit ihren Kindern, deren Kindern und deren Partner gemeinsam zu den Winterquartieren. (10)
Die Hilfsbereitschaft unter den Gänsen auf diesen Reisen ist beeindruckend. In einer V-Formation fliegen sie oftmals über Tausende von Kilometern und dies kostet Kraft. Daher tauschen die Gänse wiederholt ihre Flugpositionen um sich abwechselnd zu erholen und die Schwächeren unter ihnen zu stärken. Denn die Hinteren haben es leichter: Sie fliegen durch diese Formation im Windschatten der Vorderen und sparen so bis zu siebzig Prozent an Energie.
Gänse unter Menschen
Für manche Menschen gelten Gänse, auch aufgrund der Legende des heiligen Martins, als geschwätzig. Schimpfwörter wie „dumme Gans“ zeigen, was einige noch über sie denken. Auch der Ruf als hochaggressive Vögel eilt ihnen voraus.
Dabei ist für sie alles nur hoch aufregend. Selbst beim Beobachten von Artgenossen geht ihr Pulsschlag in die Höhe. Obwohl sie äußerlich in sich zu ruhen scheinen, innerlich sind sie schon völlig aufgewühlt. Kommen noch Verständnisprobleme im Zusammenleben mit dem Menschen hinzu, ist das ein klarer Grund hektisch zu werden – echauffiertes Geschnatter inklusive.
Aber Gänse können zwischen verschiedenen Menschen auch unterscheiden und verteilen ihre Sympathiepunkte. So kommt es vor, dass ein Mensch einer Gans so sympathisch ist, dass sie ihm freiwillig Gesellschaft leistet. Ist die Gans besonders zutraulich und diesem gegenüber gut gestimmt, erweist sie ihm die Ehre sie streicheln zu dürfen. Andersherum darf er nicht beleidigt sein, wenn eine Gans nach einer Streicheleinheit sich dringendst waschen muss. Sauberkeit und Ordnung im Federkleid müssen einfach sein – wer weiß, was alles an des Menschen Hand hing.
Gleichzeitig beweisen sie auch viel Geduld gegenüber dem Menschen. Zig Mal watscheln sie vor seiner Nase an ihm vorbei. Oder sie positionieren sich so vor ihm, dass er sie keinesfalls übersehen kann. Versteht der Mensch trotzdem nicht und Gans sieht noch kein Körnerfrühstück oder Abendessen, ist ihre Geduld am Ende. Die Laune sinkt in den Keller, große Aufregung macht sich breit, gefolgt von lautem Protestgeschnatter. Bei Essensvorenthaltungen kennen auch Gänse keinen Spaß.
Manchmal kommt es vor, dass eine Gans einen Menschen seiner Meinung nach völlig grundlos angreift und schlimmstenfalls zwickt. Dann ist diese nicht einfach dumm und aggressiv, sondern ängstlich und will ihre Artgenossen vor diesem Menschen beschützen.
Gründe dafür gibt es genug. Beispielsweise die Art von Menschen, die zwar mit ihnen leben und ihr Vertrauen gewonnen haben. Nur um Letzteres dann zu brechen und ihnen das Leben zu nehmen – „zum Eigenverbrauch“.
Denn an eines gewöhnt sich kein Lebewesen – auch keine Gans: Verletzung, Schmerz und an den Tod von Artgenossen oder Familienmitgliedern, der für die hinterbliebenen Gänse einen schweren Schock nach sich tragen kann. Wie muss es dann für eine Gans sein, mitzuerleben wie sie und ihre Artgenossen in Gebäude eingekerkert werden, ohne jegliche Möglichkeit zu schwimmen. Oder in engen Käfigen eingesperrt zu sein, wo sie weder die Flügel ausbreiten noch aufstehen können. In denen sie gewaltsam ein Metallrohr in den Rachen gerammt und Brei bis zum Erbrechen in den Magen gepumpt bekommen (Enten ergeht es hierbei genauso). All dies, damit der Mensch seine Stopfleber hat. Und wie furchtbar muss es für sie sein, an einem Fließband aufgehängt zu werden und die Artgenossen schreien zu hören. Mit eigenen Augen zu sehen, wie jedem Einzelnem der Kopf mit rotierenden Messern abgesäbelt wird – bis Gans selbst dran ist.
„Martins-“ oder „Weihnachtsgans“ heißen sie dann in der Winterzeit und werden vom Menschen verspeist. Als traditionelles Festmahl gibt dieser das Gänseessen an seine Nachkommen weiter, gepaart mit der Einstellung, die Ausbeutung und Tötung eines fühlenden Lebewesens sei vollkommen in Ordnung „weil´s schmeckt“ – ums Überleben, geht es hier nicht.
Quellen:
(1-8) – Vitus B. Dröscher, Tierisch erfolgreich. Überlebensstrategien im Tierreich, München 1996
(10) – Hans-Heiner Bergmann, Helmut Kruckenberg, Volkhard Wille, Wilde Gänse. Reisende zwischen Wildnis und Weideland, Leinfelden-Echterdingen 2006
www.animalsunited.de/zu-tode-gestopft-gaense-zur-weihnachtszeit
www.nabu-naturschutzstation.de/de/wildgaense/oekologie-der-gaense
Fotos:
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