Tierisch intelligent – trotzdem in Gefangenschaft
Kakadus, die Schlösser öffnen, Elefanten, die sich im Spiegel erkennen, Wölfe, die ihre Kooperationsfähigkeit bei einem Schnurrziehtest beweisen. Affen, die den Gebrauch von Instrumenten zeigen und Krähen, die Werkzeuge basteln. Wissenschaftler untersuchen Verhaltensweisen der Tiere, die Rückschlüsse auf Kommunikation, Werkzeuggebrauch, Lern-, Spiel- und Erkundungsverhalten geben sollen. Trotzdem erkennen manche die erzielten kognitiven Leistungen nicht gleich an. Die Skepsis bleibt: Können Tiere denken?
Also müssen Papageien ihre Wünsche auf Englisch auszudrücken lernen und Affen sich durch Gebärden und Symbole mit mensch zu verständigen. So trägt der Bonobo „Kanzi“ seine Symboltafel ständig mit sich herum, damit er durch Zeigen mit seinen Betreuern „reden“ kann. Um seine Gedanken auszudrücken, hat er sogar eigene Symbolkombinationen erfunden. „Großartig“, mag mancher denken. Stellt sich doch heraus: Der Unterschied zwischen Mensch und Tier ist kleiner als gedacht. Gemessen an einem Maßstab, der von Wissenschaftlern gesetzt wurde: Das Tier muss genau dieses Experiment meistern. Fällt es durch, läuft es Gefahr nicht intelligent genug zu sein, um mit dem Menschen mithalten zu können.
Ist dieser wissenschaftlicher Maßstab absolut? Zudem die Versuchstiere in Gefangenschaft, somit unter Bedingungen leben, die nicht ihrer natürlichen Umgebung entsprechen?
Drehen wir den Spieß um und spielen „Planet der Affen“. Stellen wir uns vor, ein Affe setzt einen Menschen in ein umzäuntes Gebiet und schaut, wie dieser Mensch darin zurechtkommt. Den Maßstab, nachdem die menschliche Leistung beurteilt wird, setzt der Affe. Findet der Mensch etwas Essbares? Kann er mit den Dingen, die sich in seinem Umfeld befinden ein Werkzeug bauen? Vor allem: Kann dieser Mensch mit dem Affen auf einer ihm verständlichen Art kommunizieren? Schafft es der Mensch nicht, dem Affen seine Fähigkeit zu denken aufzuzeigen, hat Letzterer auch keinen Beweis dafür. Pech gehabt.
Dieses Beispiel zeigt, wie absurd und arrogant das Verhalten mancher Wissenschaftler gegenüber Tieren ist. Sie unterziehen letztere Tests nach menschlichen Maßstäben. Im Gegenzug geben sie vielen Tieren Nummern statt Namen, um sie nicht zu vermenschlichen. Die Schimpansenforscherin Jane Goodall beging genau diese „blasphemische Tat“ der Vermenschlichung von Tieren. Trotzdem fand sie als Erste heraus, dass Schimpansen Werkzeuge benutzen – in der Feldforschung, nicht in deren Gefangenschaft.
„Wildtiere im Feld zu beobachten, ist eine zentrale Forderung der Verhaltensforschung. Die Tiere müssen mit sorgfältigen und gut durchdachten Beobachtungsstrategien, Datenerfassung und ethisch vertretbaren Methoden untersucht werden…in Gefangenschaft ist das kaum zu erreichen.“ (1)
Verhaltensforscher, die sich die Mühe machten sich zu den Tieren in ihren natürlichen Lebensräumen zu begeben und sich auf ihre Welt einzulassen, beobachteten noch mehr: Schimpansen können ihre Werkzeuge den Erfordernissen anpassen: Sie benutzen bis zu vier unterschiedlich lange Stöckchen, um Honig aus einem Bienenstock zu fischen. Auch manche Vogelarten, wie die Neukaledonienkrähe können Werkzeuge herstellen. Letztere fertigt Sonden und Haken aus Stöckchen und Blattstielen, um damit in den Palmkronen nach versteckten Maden zu stochern.
Beobachtungen in natürlicher Umgebung zeigten auch, dass Tiere über ein Bewusstsein verfügen: Sie erkennen Dinge in der Welt, nehmen diese wahr und sind zu zielgerichtetem Handeln fähig. Delfine ahmen die Körperhaltung von Menschen nach. Schützenfische beobachten erfahrenere Artgenossen und lernen so Insekten mit einem Wasserstrahl aus dem Maul gezielt aus den Büschen zu schießen. Buschhäher wissen, dass ihre Artgenossen Diebe sind und dass verstecktes Futter faulen kann. Und rangniedere Menschenaffen verstecken ihre Nahrung vor dem Chef und machen sich sogar hinter seinem Rücken an die Weibchen heran.
Aber auch Menschen, die mit Tieren zusammenleben, finden einiges heraus: Die Autorin Sy Montgomery berichtet von dem Schwein Christopher, das bei ihr lebte. Dieser konnte das Tor von seinem Verschlag problemlos öffnen: Riemen mit Karabinerhaken oder ein schwerer Riegel, der seitlich verschoben und eingehakt wurde – nichts konnte Christophers Abenteuerlust aufhalten. (2) Manche Katzen machen es ihren menschlichen Mitbewohnern gleich und bedienen sich aus den Kühlschränken. Und meine Ratten bedienten sich in großartiger Zusammenarbeit (inklusive Ablenkungsmanöver) direkt von meinem Teller. Auch sie haben mir deutlich gezeigt: Sie sind zu Kooperation und gegenseitiger Hilfeleistung durchaus fähig. Dies setzt voraus, dass sie Fähigkeiten und Wünsche anderer erkennen können. Mensch muss sie dazu nicht in Laborkäfigen einsperren, einer Ratte Schmerzen zufügen, um dann zu beobachten, wie die andere ihr zu Hilfe eilt.
Vampirfledermäuse handeln nach der Devise „geben und nehmen“. Sie verlassen jede Nacht ihre Höhle, um Blut zu trinken. Dabei teilen diejenigen, die Blut getrunken haben, ihre Mahlzeit mit denen, die nicht erfolgreich waren. Vor allem mit denen, von welchen sie auch schon etwas erhalten haben.(3) Tiere unterstützen sich nicht nur durch Futterlieferung, sondern riskieren auch ihr Leben- sogar für nicht-verwandte Artgenossen: Ein alter Elefant ließ sich nicht davon abbringen, einem in Schlamm steckendengebliebenem Rhinozeros zu helfen. Obwohl die Verwandten des Jungtiers in heftig angriffen. (4) In Neuseeland bildete eine Delfinschule einen schützenden Kreis um eine Gruppe von Schwimmern, um die Attacke eines weißen Hais abzuwehren. (5)
Neben Menschen gibt es andere nichtmenschliche Tiere, die kulturelle Verhaltensweisen zeigen. Je nachdem, in welcher Gruppe sie leben, folgen sie eigenen Traditionen, die sie an nachfolgende Gruppenmitglieder weitergeben. Der japanische Ökologe Kinji Imanishi beobachtete die Esskultur der Makaken auf der Insel Koshima: Sie trugen die mit Erde verdreckten Süßkartoffeln zu einem Fluss und wuschen sie dort. Eine andere Gruppe ernährte sich von Knollen, die sie aus dem Boden gegraben hatten. Dieses Verhalten kam in keiner anderen Gruppe vor.
Der Tierpsychologe und Verhaltensforscher Otto Koehler entdeckte durch geduldiges, präzises Beobachten, dass Vögel sogar Dialekte beherrschen. Obwohl Tiere Wörter scheinbar nicht zu einem grammatikalisch, nach menschlichen Maßstäben korrekten Satz zusammenbauen können, verständigen sie sich miteinander. Mensch mag zwar eine komplexere Kommunikation besitzen, aber unsere Sinnesorgane sind im Gegensatz zu vielen Tieren verkümmert. Und auch unser menschliches Denken ist eine Mischung aus Gelerntem, Sprache, Kultur, Intuition und ja, Instinkt.
„Intelligenz ist kein Wert;… aus ethischer Sicht sollte es keine Rolle spielen, wie intelligent eine andere Art oder ein anderes Individuum sind- schließlich erschießen wir auch keine Menschen, nur weil sie schlechte Schüler waren. “ (6)
Wir müssen nicht Versuchsanordnungen an eingesperrten Tieren ständig überholen. Herausfinden, wie hoch die tierische Intelligenz in einer menschlichen Umgebung ist. Wie klein genau der Unterschied zwischen Mensch und Tier ist. Es sei denn, wir haben Angst unsere Stellung als „Krone der Schöpfung“ auf dieser Welt zu verlieren. Denn wie könnte mensch sonst rechtfertigen, Tiere in Tierschauen und Zirkussen auszubeuten. Sie in Zoos und Laboratorien gefangen zu halten, in Letzterem zudem zu quälen und zu missbrauchen. Sie in Massentierhaltungen zu misshandeln und anschließend abzuschlachten?
Tiere sind, wie der Mensch, empfindungsfähige Lebewesen mit verschiedenen Emotionen, Charaktere, einem eigenen Bewusstsein, Intelligenz und Sprache. Sie müssen uns nicht komplett gleichen, genauso wie kein Mensch exakt dem anderen gleicht. Fakt ist, wir sind alle Lebewesen, egal welcher Spezies. Nicht höher und nicht niedriger als ein anderes, sondern verschieden.
„Und in beiden Augenpaaren – in dem des Tieres und in dem des Menschen – ist es das gleiche Leben, das schüchtern zum anderen drängt.“ (7)
Quellen:
(1) Marc Bekoff, Colin Allen, Biologen in Encyclopedia of Animal Behavior
(2 )Sy Montgomery, Das glückliche Schwein. Vom Leben mit einem außergewöhlichen Freund.Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, 2007
(3) (5) Bekoff Marc, Pierce Jessica, Vom Mitgefühl der Tiere. Verliebte Eisbären, gerechte Wölfe und trauernde Elefanten, Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co. KG, Stuttgart 2011
(4) Karine Lou Matignon, Was Tiere fühlen, 2006 Frederking & Thaler Verlag GmbH, München
(6) Jeffrey Masson, Susan McCarthy, Wenn Tiere weinen, Rowohlt Verlag, Reinbek 1996
(7) Iwan Sergejewitsch Turgenjew (*28. Oktober 1818 – † 22. August 1883), russischer Schriftsteller
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